Verfolgungsjagden Vol. 1: BULLITT (Peter Yates, USA 1968)

Von  //  29. Juni 2011  //  Tagged: , ,  //  14 Kommentare

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I.

Dass die Verfolgungsjagd aus BULLITT eine der berühmtesten der Filmgeschichte, wenn nicht gar die berühmteste ist, ist ein Allgemeinplatz, der kaum noch hinterfragt wird. Peter Yates lieferte seinerzeit eine der längsten, realistischsten und inszenatorisch ausgereiftesten Interpretationen eines filmischen Erzählstandards, dessen Wurzeln bis in die Anfänge der Filmgeschichte zurückreichen, und setzte damit einen Maßstab für alle Regisseure, die sich danach an der Inszenierung einer Verfolgungsjagd versuchen wollten. Seit BULLITT sind rund 40 Jahre verstrichen und das Kino im Allgemeinen und der Actionfilm im Besonderen haben sich massiv verändert: Sie sind größer, teurer, spektakulärer geworden, die Grenzen des Machbaren haben sich dank moderner Tricktechnik enorm verschoben und lästige Naturgesetze stellen kein Hindernis mehr dar. Man sollte meinen, dass der Standard, den Yates damals setzte, heute längst keine Gültigkeit mehr hat. Doch das Gegenteil ist der Fall.


Die Verfolgungsjagd in BULLITT verfügt über eine in sich vollständige Dramaturgie, mit einem Anfang, einem Mittelteil, einem Schluss und einem sich durch diese hindurch ziehenden Spannungsbogen, die die (zumindest in Hollywood) gängige Struktur eines Spielfilms im Kleinen widerspiegelt. Und genau diese Qualität lässt sich auch auf andere Aspekte der Sequenz ausweiten: Yates‘ Verfolgungsjagd ist tatsächlich nicht weniger als ein Film im Film, sie ist mithin mehr als eine bloße „Nummer“ im Quellcode des Actionfilms. Ihr kommt nicht lediglich eine strukturelle Funktion zu, nämlich jene, die „Handlung“ mit der versprochenen „Action“ aufzulockern, sondern tatsächlich eine inhaltliche: Sie erzählt uns etwas über den Protagonisten des Films, indem sie dessen Innenleben Ausdruck in der Bewegung und in ganz klaren zielgerichteten physischen Operationen verleiht. Yates simuliert nicht bloß Geschwindigkeit oder zelebriert die Zerstörung, er reiht nicht bloß spektakuläre Stunts aneinander (wie zahlreiche neuere Actionfilme), seine Verfolgungsjagd ist beinahe eine erotische Erfahrung, weil sie sich ganz langsam bis zum finalen Höhepunkt steigert, er die den Bewegungen der Wagen zugrunde liegenden motorischen Prozesse der Fahrer genau beobachtet und nachfühlbar macht (man beachte nur einmal, wie oft Bullitt im Verlauf der zehn Minuten einen Gang höher schaltet oder wie heftig er das Steuer herumreißt). Das gelingt ihm, weil er zum einen über ein sehr genaues Verständnis der Bedeutung der Verfolgungsjagd für das Genre (hier: des Polizeifilms) beweist, zum anderen über ein vielseitiges formales Instrumentarium zur filmisch-visuellen Darstellung von Geschwindigkeit und mit Steve McQueen zu guter Letzt über einen autobegeisterten Hauptdarsteller, der während der Verfolgungsjagd selbst am Steuer saß und der Sequenz somit erst zu ihrem kulturellen Impact verhalf.

II.

Die Sequenz beginnt ziemlich genau zur Ein-Stunden-Marke des ca. 113-minütigen Films, nämlich bei Minute 62:04. Sie dauert 10:26 Minuten, besteht aus 162 verschiedenen Einstellungen und hat demzufolge eine durchschnittliche Einstellungslänge von 3,86 Sekunden. Sie lässt sich grob in drei Blöcke gliedern, doch sinnvoller scheint mir eine Gliederung in fünf Teile (diese Fünfteilung steht in Einklang mit der von David Bordwell und Kristin Thomas beobachteten Hollywood-Dramaturgie für Actionfilme bestehend aus dem „Setup“, der „complicating action“, dem „development“, dem „climax“ und dem „epilogue“, siehe hier: https://www.davidbordwell.net/essays/anatomy.php).

  1. Setup: Die Rahmenbedingungen werden geschaffen: Bullitt steigt in seinen Wagen, einen Ford Mustang, wobei er von seinen Verfolgern, die in einem Dodge Charger sitzen, beobachtet wird. Ein konzentrierter Blick Bullitts lässt erahnen, dass auch er seine Verfolger bereits wahrgenommen hat. Als er losfährt, folgen sie ihm mit einigem Abstand. (62:04 – 63:30, Einstellung 1 – 5 (5 Einstellungen))
  2. Complicating Action: Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Zuschauer zunächst im Wagen der Verfolger mitfährt und beobachtet, wie Bullitt sich den Verfolgern entzieht. Nach einiger Zeit der Suche taucht er plötzlich in ihrem Rückspiegel auf: Er hat sie genarrt und nun seinerseits die Kontrolle zurückgewonnen (64:39, Einstellung 25). Es beginnt ein vorsichtiges Abtasten, bis die nun Gejagten schließlich zu einem günstigen Zeitpunkt beschleunigen und unvermittelt abbiegen, den Überraschungsmoment auf ihrer Seite. (63:30 – 65:52, Einstellung 6 – 43 (38))
  3. Development: Auf das vorsichtige Abtasten und Belauern folgt nun die offene Jagd durch die hügeligen Straßen San Franciscos, die dann schließlich in ländlicheren Gefilden fortgesetzt wird (69:03, Einstellung 82). An der dann noch einmal ansteigenden Geschwindigkeit sowie am zunehmend riskanteren Fahrstil der auf eine Entscheidung drängenden Gejagten, der in zwei Beinahe-Crashs resultiert, wird deutlich, dass sich die Verfolgungsjagd ihrem Ende nähert. (65:52 – 71:15, Einstellung 44 – 130 (86))
  4. Climax: Auf einer langen geschwungenen Küstenstraße gelingt es Bullitt endlich, sich neben die Gejagten zu setzen. Der Beifahrer eröffnet mit seinem Schrotgewehr von der Rückbank aus das Feuer auf den Polizisten, Bullitt kontert die Angriffe, indem er seine Rivalen mehrfach rammt. Schließlich gelingt es ihm den Wagen von der Straße abzudrängen, wo er in eine Tankstelle kracht und eine Explosion auslöst. (71:15 – 72:15, Einstellung 131 – 157 (28)
  5. Epilogue: Bullitt bringt seinen Wagen zum Stehen, blickt auf sein Werk zurück – man sieht kurz das brennende Wrack mit den toten Verfolgern darin – dann leitet eine Überblendung zur nächsten Szene über. (72:15 – 72:30, Einstellung 158 – 162 (5))

 

Was lässt sich aus dieser Aufstellung ableiten? Zum Einen wird deutlich, dass es Yates bei seiner Verfolgungsjagd nicht bloß um nackte Action und Hochgeschwindigkeit geht. Die ersten rund vier Minuten sind ein verhaltenes Abtasten und eher von Taktiererei geprägt und leisten dabei einen ganz entscheidenden Beitrag zum Spannungsaufbau: Der Zuschauer weiß zwar wie Bullitt, dass dieser verfolgt wird, hat aber keine Vorstellung davon, was er tun wird. Er ist zum einen Bullitts „Verbündeter“, steht perspektivisch aber auf der Seite der Schurken, wird vom Helden förmlich ausgeschlossen. Folglich zwingt Yates zu Beginn zur Identifikation mit den Jägern und der Zuschauer erhält so einen Eindruck davon, was es bedeutet, es mit dem Cop aufnehmen zu müssen. Das verleiht ihm auch während jenes Abschnitts eine Präsenz, in dem er körperlich abwesend ist. Bullitt – vom gewohnt minimalistischen McQueen kongenial als fleischgewordene Effizienz und Präzision verkörpert – entpuppt sich während dieser Verfolgungsjagd vor allem als taktisches Genie, während andere Helden sich in dieser Situation meist durch Tollkühnheit und Bleifuß auszeichnen. Von Beginn an weiß er, dass er verfolgt wird und was er tun muss, um diese Situation aufzulösen. Der Moment, in dem er plötzlich im Rückspiegel der Jäger auftaucht und klar wird, dass er die ganze Zeit am längeren Hebel saß, ist einer der dramaturgisch brillantesten und aufregendsten Momente der Actionfilm-Geschichte. Es ist ein Moment der Überraschung, die der Zuschauer zusammen mit den genarrten Schurken empfindet, und der Begeisterung für den Finessenreichtum des Helden. Und die Dramaturgie dieser ersten vier Minuten zeichnet Bullitt als Loner, der sich im Zweifel auch seinen Partnern entzieht, der niemandem verpflichtet ist, außer der Sache.

Nach diesem Moment wäre eigentlich ein geeigneter Zeitpunkt für Yates, auf Vollgas umzuschalten, doch er zögert dieses Umschalten weiter hinaus, indem er nun Bullitt in die Rolle des passiv Wartenden drängt. Zwar ist er der unmittelbaren Bedrohung zunächst entgangen, doch aus seiner Rolle als Verfolger heraus kann er den Schurken noch keinen Schaden zufügen. Es beginnt ein angespanntes Abtasten: Bullitt wartet konzentriert, was seine Gegner als nächstes tun, um darauf reagieren zu können, diese hingegen müssen überlegen, wie sie die Situation auflösen, die ganz anders verlaufen ist als geplant. Es ist klar, dass ihre einzige Chance darin besteht, den Verfolger nun ihrerseits abzuhängen. Aber wann ist der geeignete Zeitpunkt? Es ist auch Schifrins zunehmend nervöser werdender Score, der die Spannung auf den Siedepunkt treibt, bis zu jenem Moment, in dem die Jagd dann tatsächlich losgeht. Und obwohl der Zuschauer genauso wie Bullitt die ganze Zeit auf diesen gewartet hat (und außerdem durch einen Close-up auf den im Schoß zuschnappenden Sicherheitsgurt des Fahrers auf diesen vorbereitet wurde), trifft er ihn doch ebenso unvorbereitet wie den Helden.

Die folgende Jagd wird eingeleitet durch eine Großaufnahme auf den durchdrehenden, quietschenden und qualmenden Hinterreifen des Fluchtautos, der die Musik übertönt. Die Kamera zieht auf und zeigt die davonrauschenden Schurken, das Quietschen verstummt, aber der Score von Schifrin ist nicht mehr zu hören. Von nun an untermalt einzig die Sinfonie aus Motorengeräuschen, Reifenquietschen und schepperndem Blech die Jagd durch die hügeligen Straßen San Franciscos. Sie wird zunächst vor allem durch die Versuche der Gejagten geprägt, Bullitt durch weitere Abbiegemanöver abzuhängen, wobei beide Parteien darauf achten müssen, die Kontrolle über ihr Fahrzeug nicht zu verlieren und nicht mit anderen Autos zu kollidieren. Mehrfach sind kleinere Ausweichbewegungen nötig, die Yates ganz beiläufig einfängt, weil sie eine zwangsläufige Begleiterscheinung einer Verfolgungsjagd sind. Und auch als sich der Held einmal verbremst (Einstellung 56) – in einer Einstellung, die so nicht geplant war, auf einen tatsächlichen Fahrfehlers McQueens zurückging und aus Authentizitätsgründen dringelassen wurde –, so entsteht doch der Eindruck, dass die Ganoven mehr und mehr in Schwierigkeiten geraten: Mehrfach fliegen Radkappen weg, einmal kollidieren sie mit einem parkenden Auto (Yates platziert die Kamera genau auf diesem, sodass beim Zusammenprall sogar ganz kurz das Bild ausfällt) und in einer langen Kurve mit einer Begrenzungsmauer. Die Fahrer lassen die Hügel hinter sich, die engen Straßen der Stadt werden breiter, das Tempo wird erhöht. Statt die Verfolgung wie bisher mit überwiegend statischer Kamera und den Autos folgenden Schwenks einzufangen, „fährt“ diese nun ihrerseits mit, mit dem Ergebnis, dass das Bild häufiger verwackelt ist und die Bildausschnitte „unsauberer“. Mit dem Verlassen der Stadt beginnt die Hochgeschwindigkeitsjagd.

Im nun folgenden Abschnitt bereitet Yates in drei Schritten auf den bevorstehenden Showdown vor: Gleich zu Beginn bringen die Gejagten mit einem Überholmanöver auf der Gegenfahrbahn einen ihnen entgegenkommenden Motorradfahrer zu Fall, dem Bullitt ausweichen muss und dabei von der Straße abkommt (Einstellung 90 – 105). Die Verfolgungsjagd scheint beendet, wie der Blick des Fahrers in den Rückspiegel beweist, in dem man von Bullitts zum Stehen gekommenen Wagennur noch eine Staubwolke sieht. Doch er gibt nicht auf: Der folgende Abschnitt, der zeigt, wie der Cop zu allem entschlossen wieder an seine Gegner heran- und immer wieder auch die Kamera zu fährt, stellt erneut dessen herausragende Eigenschaften und Fähigkeiten zur Schau: Bullitt gibt niemals auf, man kann ihn nicht einfach abwimmeln. Während sein Gesicht die ganze Zeit eine reglose Maske der Konzentration und Entschlossenheit ist, schleichen sich in die Mimik seiner Gegner verstärkt Anzeichen von Gefühlsregungen, die in der Welt von BULLITT ein Handicap sind (Einstellung 106 – 119). Yates inszeniert die Verfolgungsjagd über diese indirekten Blickduelle konsequent nicht bloß als Duell zweier Maschinen, sondern als Psychoduell der Fahrer. Als Bullitt aufgeschlossen hat, folgt ein haarsträubender Beinahe-Unfall, in dem die zunehmend schneller getaktete Schnittfrequenz ihren Höhepunkt erreicht und die Kameraperspektive im Sekundentakt von Quasisubjektiven in neutrale Beobachterpositionen und zurück springt. Die Inszenierung dieser Szene spiegelt das Entgleiten der Kontrolle perfekt wider, den Sekundenbruchteile währenden Tanz auf der Nadelspitze, währenddessen der Ausgang der Situation ganz allein dem Zufall und dem Spiel der physischen Kräfte überlassen ist. Es ist der Moment der Schwerelosigkeit vor dem freien Fall, des Luftanhaltens, weil Yates den Sauerstoff aus dem imaginären Zuschauerraum zu saugen scheint. Er dauert nur wenige Sekunden, aber scheint ewig zu währen. Neun präzis getimte Einstellungen, die zentralen jeweils nur eine Sekunde lang, die nicht dem Willen des Regisseurs, sondern selbst einer eigenen Eskalationslogik zu folgen scheinen: ein brillantes Stück Actionkino, unmittelbar, instinktiv, hoch emotional (Einstellung 120 – 130).

Der folgende Showdown bringt nach der Konfusion wieder die nötige Klarheit, indem er Bullitt in seinem Mustang gegen die Schurken in ihrem Dodge Charger zu einem Duell antreten lässt. Die Straße vor und hinter ihnen ist vollkommen leer (wie in einer Westernstadt, wenn die Bürger vor dem anstehenden Duell in die Häuser fliehen), die Entscheidung steht bevor. Der Überlegenheit des Cops haben die Bösewichter nun nur noch Waffengewalt entgegenzusetzen: Es ist typisch, dass ihnen der Vorteil rein zahlenmäßiger Überlegenheit nichts bringen wird. Mit dem Verlust der räumlichen Distanz zwischen ihnen und ihrem Gegner ist ihr Schicksal besiegelt und das lässt sich durchaus wörtlich verstehen: Es ist ein entschlossenes Rammen, das die Schurken in einen flammenden Tod treibt und Bullitt als Sieger aus der Jagd hervorgehen lässt. Eine Überblendung – eine von nur zweien im ganzen Film – leitet vom Bild der brennenden Gangster zur nächsten Szene über: Mit diesem Mann ist wahrlich nicht gut Kirschen essen.

III.

Was leistet Yates mit der Verfolgungsjagd im Einzelnen? Er charakterisiert  seinen Protagonisten als einen absoluten Profi, der auch in akuter Lebensgefahr nie den kühlen Kopf verliert. Als einen Mann, der stets den Überblick behält, vorausschauend handelt und mit den nötigen handwerklichen Fähigkeiten ausgestattet ist. Bullitt wendet die missliche Situation sehr schnell zu seinen Gunsten und hat dann die Ausdauer und Nerven, auf den richtigen Moment zu warten, um die Entscheidung herbeizuführen. Seine Gegner sind am Ende wenn schon nicht schlotternde Nervenbündel, so doch sichtbar angegriffen davon, dass dieser Mann immer eine Antwort parat hat. Er muss noch nicht einmal besonders tollkühn oder verwegen sein: Angeberisches Draufgängertum hat er nicht nötig. Bullitt ist der Realist und Ökonom unter den Actionhelden. Mit dieser Charakterisierung öffnet Yates den Blick auch für die psychologische Komponente der Verfolgungsjagd: Vollgas, das Äquivalent zur körperlichen Kraft, spielt nur eine untergeordnete Rolle (dazu passt auch, dass der Ford Mustang, den McQueen fährt, für die Verfolgungsjagd hochgetunt werden musste, um überhaupt mit dem stärkeren Dodge Charger mithalten zu können). Es sind Finessenreichtum, Intuition, Erfahrung und Entschlossenheit, die den Ausschlag geben. Die Aktion entpuppt sich nicht als reiner Körpermoment, sondern vielmehr als solcher, in dem charakterliche und psychische Eigenschaften Ausdruck in körperlichen Handlungen finden, in dem Körper und Geist tatsächlich im Einklang sind.

Die Actionszene, das demonstriert BULLITT eindrucksvoll, ist eben nicht von der Entledigung vom Geist geprägt wie das viele Beispiele aus der Filmgeschichte zweifellos suggerieren, sie zeichnet vielmehr die Utopie, in der Geist und Körper, Ratio und Emotion nicht mehr länger nur in dialektischem Verhältnis oder gar in Konkurrenz zueinander stehen, sondern in dem beide eine Einheit bilden, in der Intuition miteinander verschmelzen. Yates’ Verfolgungsjagd funktioniert zwar auch als prächtiges Adrenalinkino, aber anders als neuere Vertreter der Zunft weiß er, wie wichtig Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Geradlinigkeit sind: Man lernt nicht nur Bullitt und seine Verfolger kennen während der Jagd durch die Straßen San Franciscos, sondern eben auch die Stadt. Es ist eines der Erfolgsgeheimnisse dieser Sequenz, dass sie ein sehr präzises Raumbild zeichnet, einen sehr genauen Eindruck von Distanzen, dem zurückgelegten Weg und demzufolge auch von Zeit und Geschwindigkeit erzeugt. Die Verfolgungsjagd ist nicht weniger als paradigmatisch für den Actionfilm, der doch immer verklausuliert vom Weg des Helden zum Ziel erzählt. Yates hat das wie kaum ein anderer begriffen und dieser Idee mit BULLITT ein Denkmal gesetzt.

USA 1968 Regie: Peter Yates

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Lebt in Düsseldorf, schaut Filme und schreibt drüber.

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14 Kommentare zu "Verfolgungsjagden Vol. 1: BULLITT (Peter Yates, USA 1968)"

  1. Oliver 7. Dezember 2011 um 10:08 Uhr · Antworten

    Hallo Thomas,

    oh, so viel Lob auf einmal: Ob ich das verkraften kann? :)

    Mit Seeßlen verglichen zu werden, ehrt mich ungemein, auch wenn ich glaube, dass das etwas zu viel der Ehre ist. Dass dir meine Texte so gut gefallen, nehme ich aber auf jeden Fall als Ansporn, weiterzumachen und natürlich weiter an mir und meinen Texten zu arbeiten. Es zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

    Das „Vol. 1“ war in der Tat so gemeint, dass da noch was kommt. Wann weiß ich noch nicht, weil ich hier schon ein große Bandbreite anpeile und nicht den Eindruck erwecken möchte, mir fiele schon in der Anfansphase meiner kleinen Kolumne nix mehr ein. Außerdem ist es gut, was in der Hinterhand zu haben, wenn ich wirklich mal keine bessere Idee habe. ;)

    Ich hatte natürlich sofort an FRENCH CONNECTION und FRENCH CONNECTION 2 gedacht – zumindest erstere gilt ja ähnlich wie die BULLITT zu den Chase-Klassikern schlechthin. Die aus dem Sequel ist natürlich deshalb toll, weil sie zu Fuß bestritten wird. MAD MAX/MAD MAX 2 wären zwingende Kandidaten, ebenso wie etwa TO LIVE AND DIE IN L.A., THE SEVEN-UPS, aber auch etwas Italienisches, z. B. ein Castellari, würde sich anbieten. Was neuere Sachen angeht, fällt mir immer wieder die irrwitzige Verfolgungsjagd aus BAD BOYS 2 ein. Aus dem DTV-Bereich wäre vielleicht DEATH RACE 2 zu nennen (den Vorgänger kenne ich nicht): Da geht es zwar nicht unbedingt um Verfolgungsjagden, aber es werden reichlich echte Autos zu echtem Schrott verarbeitet. Mehr Gedanken habe ich mir dazu ehrlich gesagt noch nicht gemacht. Es gibt bestimmt noch mehr Kandidaten, aber die fallen mir gerade nicht ein. BTW: Woher weißt du eigentlich, dass ich KRULL nicht kenne? (Ist tatsächlich so.)

    Schließlich zu deiner Anregung, ein Buch zu machen: Klar, die Idee/den Wunsch habe ich schon lange. Zwei Hindernisse gibt es leider bei der Umsetzung: 1. Zeit. Ich betreibe die Schreiberei nebenher, gehe einem 9-to-5-Job nach, habe außerdem noch ein kleines Töchterlein. Und ein Buch schreibt man nicht mal so nebenbei (zumindest nicht das, das ich mir vorstelle). Unter den Voraussetzungen erfordert das eine Menge Disziplin und vor allem konzeptionelle Vorarbeit. 2. Publikum: Der Actionfilm ist zumindest in Deutschland eben leider kein besonders ernst genommenes Genre. Zwischen dem Publikum, das Actionfilme schaut, und dem, das Filmbücher (mit latentem wissenschaftlichen Anspruch) liest, besteht nur eine kleine Schnittmenge. Eine vorsichtige Anfrage in dieser Richtung wurde jedenfalls mit einer dahingehenden Begründung beantwortet. Die Verlage, die dafür in Frage kämen, verkaufen zudem leider nicht so gewaltige Stückzahlen, dass sie so ein Buch aus reiner Liebhaberei machen könnten. Wie gesagt: Der Wunsch besteht und ich bin ja noch jung … ;)

    Viele Grüße
    Oliver

  2. Thomas Hemsley 7. Dezember 2011 um 04:35 Uhr · Antworten

    Verbesserung: ich meinte natürlich „Actionfilmkritiker“ nicht „-regisseur“;-)

  3. Thomas Hemsley 7. Dezember 2011 um 04:33 Uhr · Antworten

    Ich mal wieder – und ich muss sagen: Wann veröffentlichst du endlich eine Sammlung deiner besten „Actionreflexionen“ (bei Berzt z.B.). Auch wenn du natürlich eine größere Bandbreite hast, bist du im deutschsprachigen Raum der beste Actionfilmregisseur, neben Georg Seeßlen, der ansonsten der einzige theorieaffine/intellektuelle Kritiker ist, der brilliant über das Genre schreibt. Was ich bei dir – sozusagen als Gegenpol – toll finde ist die Kombination/sogar Synergie von „impressionistischer“ Kritik und rigoroser formaler Analyse – Seeßlen ist ja weniger analytisch und hat beim „impressionistischen“ Teil einen anderen intuitiven Zugang.
    Ich hoffe dieses „Vol.1“ bedeutet, dass noch mehr Verfolgungsjagden reflektiert werden – wenn das dein Ziel ist, wäre eine Teaser nicht schlecht, d.h. welche Verfolgungsjagden (nicht nur Auto??) beeindrucken dich auf ähnliche Weise – gibt es trotz aller (berechtigter) Kritik an den heutigen Zuständen, Verfolgungsjagden, die dich einigermaßen beeindrucken (vielleicht im von mir leider noch nicht so bekannten DTV-Bereich, trotzdem ich auch ein Fan von Vern bin, wie du, kenn ich leider noch zu wenig in dem Bereich, zumindest heute – ich erinnere mich an Zeiten, als viele Actionfilme Anfang der 90er vor allem sog. Videopremieren waren, hach, die gute alte Zeit;-).
    Eine Verfolgungsjagd, die ich persönlich ähnlich sehe, wie du „Bullitt“ (sehr lange her, muss ich nochmal kucken), ist die Anfangssequenz von Mad Max.
    Ich kann übrigens nicht glauben, dass du das 80er-Fantasyschmankerl „Krull“ von Yates nicht kennst;-) Außerdem „Curtain Call“ – eine sehr feine übersinnliche romantische Komödie, mit Michael Caine und Maggie Smith als Geister und James Spader als, der leidgeplagte Mensch, der sie sehen kann – Caine und Smith sind wundervoll! Kann ich nur empfehlen für einen netten Abend mit der Angetrauten – außer natürlich diese steht mehr auf harte Kerle, die Benzin saufen;-)
    Grüße aus Kölle
    Thomas

  4. Sano 12. Juli 2011 um 17:03 Uhr · Antworten

    Das „instiktive Verstehen“ ist wohl einerseits wesentlich für das funktionieren einer Actionszene und ihre „automatische“ Rezeption, andererseits aber vielleicht auch hauptverantwortlich dafür, dass Action viel zu oft als etwas minderwertiges abgetan wird. Denke, das ist mit Bewegung im Kino im Allgemeinen so. Aber Bewegung die mit Gewalt konnotiert ist, ist in unseren kulturkreisen eben nach wie vor verpönt. Dabei wäre es im Prinzip im künstlichen Werk eines Filmes ein leichtes Analogien zwischen Actionszenen und Balletszenen zu sehen. Was ins Auge sticht ist aber wohl die Gewalt, der Effekt – nicht die Choreographie seiner Vorbereitung.

    Wenn ich Jackie Chan sehe, sehe ich aber eben auch Fred Astaire. Für mich der entscheidende Grund, warum ich z.B. ältere asiatische martial-arts Filme bis zum erbrechen gucken kann. Die Actionszene als Shownummer, als Performance – wie wenn Chico sich bei den Marx Brothers ans Klavier setzt. Im Hollywoodkino ist das natürlich narrativer eingebunden, was wie du am Beispiel von BULLIT erörterst aber nicht schwächeres sein muss.

    Hab mal eben in die ImdB geschaut. Von Yates kenne ich auch nur noch den nicht minder großartigen EYEWITNESS von 1980, der mich bei der Sichtung eben auch wegen seiner präzisen Mise-enscene und der interessanten Figurenpsychologisierung durch ihre Beobachtung ihrer Rollenausübung innerhalb einer bestimmten Umgebung. klingt alles sehr allgemein, ist aber gerade schwer in Worte zu fassen. Auf jeden Fall begeisterte mich in beiden Fällen die Regie – und vor allem durch ihre hingebungsvolle Beobachtungsgabe. BULLIT sehe ich persönlich (wie der Titel es ja auch schon impliziert) als Charakterstudie.

    Habe noch ein paar seiner Filme ungesehen zu Hause auf DVD rumstehen. Die Zukunft wird daher auf jeden Fall rosig! ;-)

  5. Oliver 12. Juli 2011 um 15:59 Uhr · Antworten

    „Es ist eben unheimlich inspirierend zwischen all den Kritiken und Essays im Internet auch auf analytisches Interesse zu stoßen. Ich denke, für das Verständnis, bzw. für die Wertschätzung eines Films kann diese Zugangsmethode enorm förderlich sein. “

    Genau das ist hier und war damals schon bei den Himmelhunden mein Anspruch: Mich in der eigenen Begeisterung nicht auf ein bloßes unreflektiertes Verbalisieren dieser Begeisterung zu beschränken, sondern sie vielmehr als Ansporn zu benutzen, tiefer in die Materie einzudringen. Gerade bei einem Genre, das für viele immer noch Synonym für anspruchslose, oberflächliche oder sogar dumme Unterhaltung steht, finde ich es wichtig, den Blick dafür zu öffnen, was auf formaler Ebene für Hebel in Bewegung gesetzt werden, damit der Betrachter das Geschehen am Ende ganz instinktiv versteht. Die zweite Crashszene in BULLITT ist ein super Beispiel dafür: Man versteht sie tatsächlich weniger gut, wenn man sie in ihre Bestandteile aufdröselt. Erst im „Flow“ wird klar, was da genau passiert. Von den inhaltlichen Feinheiten, die den meisten Zuschauern immer durch die Lappen zu gehen scheinen, mal ganz abgesehen.

    Zu Yates gebe ich dir unumwunden Recht, kenne von ihm wissentlich nur noch THE FRIENDS OF EDDIE COYLE, der auch fantastisch ist.

    Zum ausgeglichenen Mehrwert: Immerhin werden meine Texte durch den fehlenden Gesprächspartner nur halb so lang werden. :) Spaß beiseite, ich bin wahrscheinlich kaum weniger gespannt, wie sich das hier entwickeln wird, als du.

  6. Sano Cestnik 12. Juli 2011 um 14:19 Uhr · Antworten

    Es ist eben unheimlich inspirierend zwischen all den Kritiken und Essays im Internet auch auf analytisches Interesse zu stoßen. Ich denke, für das Verständnis, bzw. für die Wertschätzung eines Films kann diese Zugangsmethode enorm förderlich sein.

    Und wie Bordwell schreibt, haben Actionszenen oft auch wichtige inhaltliche/erzählerische Funktionen, bzw. lassen die Stilistiken eines Regisseurs besonders deutlich hervortreten. Wie du es ja auch formulierst: ein komprimierter Film-im-Film. Das ist ja dann auch das Argmunet, das Bordwell nach seinem text im Q&A erwähnt und das mir am plausibelsten erscheint. Dass sich daraus die wiederholbarkeit bestimmter Sequenzen ergibt. Dass das Videozeitalter uns ermöglicht hat diese kleinen Mini-Epen immer und immer wieder zu sehen und zu studieren. Und Action muss ja nicht immer zwangsläufig mit Zerstörung und Special Effects zu tun haben, wie zum Beispiel der für meine Begriffe großartige Actioner „Der Räuber“ von heisenberg letztes Jahr mal wieder gezeigt hat.

    und Yates ist sowieso ein regisseur den ich bewundere, und von dem ich mehr sehen möchte. Definitiv innerhalb der Filmgeschichtsschreibung ein irgendwie vergessener/ verloren gegangener Filmemacher.

    Also wenn du weiterhin so gründlich analytisch vorgehst, bzw. so tolle Kondensate wie deine Überlegungen zum Ninja-Film in der letzten Splatting Image verfasst, lässt sich der Mehrwert des (fehlenden) Gesprächspartners sicherlich gut kompensieren. ;-)

  7. Oliver 12. Juli 2011 um 08:42 Uhr · Antworten

    Wow, ich bin ganz geplättet von so viel Lob, vielen Dank!

    Ich persönlich finde es auch schade, dass wir das Blog nicht weiterführen konnten, aber manchmal klappt es eben nicht so, wie man es sich wünscht. Ich werde mir alle Mühe geben, hier für die Ersatzdroge zu sorgen – und hoffe natürlich, dass ich hier mittelfristig über den Status des Notnagels hinauswachsen kann. :)

    Dein letzter Absatz ist für mich jedenfalls ein Riesenansporn in dieser Richtung!

  8. Sano 11. Juli 2011 um 20:57 Uhr · Antworten

    Ich finde es zwar immer noch Schade, dass das grandiose und inspirierende Dialogkonzept des Himmelhunde-Blogs nicht mehr weitergeführt wird, aber glücklicherweise haben deine präzisen Action-Analysen an dieser Stelle eine Fortsetzung gefunden. Wunderbarer Artikel! Und vielen Dank für den Link zum Bordwell M:I.III Text, den ich aus Kontext-Interesse gleich auch noch verschlungen habe.

    Bei mir hat es persönlich ganz schön lange gedauert bis ich Actionfilme aufgrund ihrer Actionszenen schätzen lernte. Inzwischen bin ich ein glühender Verehrer dieses vielgeschmähten „Genres“ geworden. Und den größten Anteil an diesem Wandel haben wohl tatsächlich Sequenzanalysen wie die deinige. :-)

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