Marriage Story. Eine Bildbeschreibung

Von  //  9. Dezember 2019  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

Es geschieht nach etwas über 2 Stunden.
Das Gesicht. Adam Drivers Gesicht. Das sind doch wir. Im Gesicht passieren wir. Und wenn wir nicht passieren, passieren wir eben doch, wir passieren nur anders, weil wir uns beherrschen. Wenn wir im Gesicht nicht passieren, unterdrücken wir uns. Wir sorgen dafür, dass unsere Emotionen im Inneren bleiben. Wir schließen sie weg. Verbannen sie. Wir sperren sie ins Hirnverlies, foltern sie vielleicht, bedrohen sie. Sagen: Wehe dir, du fliehst nach draußen aufs Gesicht und flanierst dort herum, um dich zu präsentieren. Um mich zu verraten. Du bleibst hier unten, Angst, denn du gehörst mir, du gehörst nicht aufs Gesicht. Denn dort könntest du mir gefährlich werden, weil die Mitmenschen in die Lage versetzt werden, mich zu lesen. Am Ende verstehen sie mich. Und wenn sie mich verstehen, werde ich verletzbar.
Das wollen wir nicht. Daher schauspielern wir, legen falsche Gesichtsfährten. Lachen, wenn uns gar nicht zum Lachen zumute ist, schauen ernst, wenn es erwartet wird. Wir führen Gesichtstheaterstücke auf, solche, die uns zu den Menschen machen, die wir nicht sind, sondern sein sollen und wollen. Aber was ist, wenn diese Maske fällt? Wenn sie bricht, weil sie uns weggerissen wird.
So geschieht es am Ende von MARRIAGE STORY, wenn Charlie, gespielt von Adam Driver, aus einem Schreiben erfährt, was seine Exfrau Nicole kurz nach der Trennung über ihn aufgeschrieben hat. („Ich habe mich nach 2 Sekunden in ihn verliebt.“)
Sein Gesicht wird von einem emotionalen Erdbeben erschüttert, das alle Scheidungsgewissheiten in sich zusammenstürzen lässt. Kein Meinungsstein – man kann es an ihm ablesen – bleibt auf dem anderen. Man kann die Tränenvulkane spüren, die unter der Haut darauf warten, ausbrechen zu können. Heiße Tränen, mit denen man das Gesicht versengen kann. Die bis dahin so sorgsam errichtete Gesichtsordnung ist zerstört. Schmerz kämpft sich nach oben. Wird unterdrückt. Geschluckt. Der Schmerz wird in den Körper zurückgezerrt.
Adam Drivers Gesicht lässt uns Zuschauer zu Mitleidern, Mitopfern, Mitspielern werden.
Eine Szene, die die Grenze zwischen Film und Wirklichkeit aufweicht. Gelebte Empathie. Wir spüren seinen Schmerz mit ihm.

USA, 2019. Regie: Noah Baumbach

Über den Autor

Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.

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