Winter’s Bone

Von  //  8. März 2011  //  Tagged:  //  7 Kommentare

Die Ozarks sind nicht nur die Heimat von Wal-Mart und einiger anderer Fortune 500 Companies, sondern abseits der Wirtschaftszentren auch ein bitterarmer Landstrich, der sich als Hochplateau im wesentlichen über den südlichen Teil von Missouri und große Teile des Nordens und Nordwestens von Arkansas erstreckt. Als weit verbreiteter Nebenerwerb gilt unter der ländlichen Bevölkerung das „Kochen“ der Droge Meth. In diesem Milieu spielt Winter’s Bone.

Die 17-jährige Ree (Jennifer Lawrence) kümmert sich um ihre beiden jüngeren Geschwister und ihre katatonische Mutter. Die Familie lebt in tiefer Armut. Vater Jessup steht dringend im Verdacht im Drogengeschäft zu sein und ist untergetaucht. Als Ree erfährt, dass er als Kaution für sein Erscheinen bei der bevorstehenden Gerichtsverhandlung Haus und Hof verpfändet hat, macht sie sich in der näheren Umgebung auf die Suche nach ihm, was auf wenig Gegenliebe bei Bekannten und Verwandten von Jessup stößt. Jessup wird zu seiner Gerichtsverhandlung NICHT erscheinen. Ree, der inzwischen ziemlich drastisch klar gemacht wurde, dass kein Interesse an ihren Nachforschungen besteht, bleibt nur noch der Versuch, seinen mutmasslichen Tod nachzuweisen, um nicht alles zu verlieren. Aber auch der inzwischen in höchstem Maße verdächtigen Verwandtschaft ist plötzlich an einer finalen Lösung der Angelegenheit gelegen. Und so muss Jessups Leiche noch ein letztes Mal „auftauchen“.

Von Beginn an lassen Buch und Bilder keinen Zweifel an der Authentizität der Geschichte. Ungeschönte Charaktere. Detailversessene Ausstattung. Menschen, die aus Gläsern mit Schraubverschluss trinken. Eine hoffnungslos in überkommenen Machtstrukturen und ständiger Gewaltbereitschaft befindliche Parallelgesellschaft, die auf verwahrlosten Grundstücken in kaputten Trailern haust. Viel Schwermut liegt über der Geschichte. Zum Teil, weil sie eben im Winter spielt. Aber auch, weil die meisten Protagonisten extrem feindselig und fatalistisch agieren. In der Mitte des Films wundert man sich kein bisschen mehr darüber, dass Ree ihren Geschwistern Schießuntericht erteilt – Als „Überlebenstraining“. Die Kamera fängt Kälte und Erstarrung als Spiegelung der Seelenlandschaften atmosphärisch ein. Verweilt hier und da auf den Insignien der Armut und ästhetsiert sie nur so weit, wie es der Geschichte dient ohne zum optisch/stilistischen Selbstzweck zu werden.

Regisseurin Debra Granik mutet dem amerikanischen Kino einiges zu. Zum gängigen Selbstbild weißer Amerikaner gehören mit Meth dealende und vom Konsum der Droge gezeichnete White-Trash-Wracks nicht. Granik aber geizt nicht mit Sympathie für ihre verkratzten Figuren und verrät sie auch nicht als Sozialverlierer. Winter’s Bone ist ein Inside Job, erzählt aus der Perspektive seiner Figuren. Durchaus ungewöhnlich, denn oft (Deliverance, Ride with the Devil, Southern Comfort) dienen die in der Regel als retardiert stigmatierten Bewohner des „Rural America“ lediglich als psychologische Poster-Tapete, vor der aus der Wir-Gegen-Sie Sicht auf die ein oder andere Art Gegensätze thematisiert werden. Die willensstarke Ree ist und bleibt jedoch zugleich Teil ihrer „Sippe“ als auch entwicklungsbereite Heldin der Geschichte. Mit einer Mischung aus Mut und Leidensfähigkeit trotzt sie den Verhältnissen, ohne diese generell in Frage zu stellen. Auch Teardrop (John Hawkes), der etwas zweifelhafte Bruder von Jessup, avanciert vom „Wife-Beater“ zum „Outlaw-Helden“. Bedingt, jedenfalls. Am Ende steht nur die Staatsmacht ziemlich dumm und ziemlich hilflos da.

Granik etabliert sich nach Down to the Bone (2005) bereits mit ihrem zweiten Langfilm als eine der interessantesten „neuen amerikanischen“ Independent Regisseurinnen. Es steht aber leider zu befürchten, dass Winter’s Bone, der in den USA bereits im Juni 2010 startete, hierzulande nicht wirklich wahrgenommen wird. Wenn er am 31. März bei uns in die Kinos kommt, sollte man sich jedenfalls beeilen ihn zu sehen. Vorsichtshalber.

USA 2010. Regie: Debra Granik

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Über den Autor

Eckhard Heck besitzt eine der umfangreichsten Baustellen-Sammlungen Nordrhein-Westfalens. Unter anderem ist er Autor, Musiker, Maler, Fotograf und Glaubensberater.

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7 Kommentare zu "Winter’s Bone"

  1. Paul 1. April 2011 um 13:54 Uhr · Antworten

    Genau, einfach reingehen und mitreißen lassen. Während sich die ganze Forenwelt nur auf die Plastik-Bitches aus Sucker Punch konzentriert, startet der großartige, meiner Meinung nach durchaus auch für ein breiteres Publikum taugliche WB, lustigerweise mit einer mitreißenden jungen Frau als Heldin, scheinbar unbeachtet.

  2. Eckhard Heck 1. April 2011 um 13:46 Uhr · Antworten

    Ich teile Herrn Siedelmanns Einschätzung weitgehend. Was den Film aber nicht weniger sehenswert macht.

  3. Marco Siedelmann 1. April 2011 um 11:25 Uhr · Antworten

    Nur das „Wendy & Lucy“ eben echter Indie-Kram ist und „Winter’s Bone“ eigentlich schon kleiner Mainstream ist – hat immerhin das knapp zehnfache gekostet wie Reichardts Film… ;)

    Auch das da ein „anderes Amerika“ gezeigt wird, kann ich mir ehrlich gesagt kaum vorstellen. White Trash, Crack, Prostitution etc. gehören sehr wohl schon länger in die amerikanische Filmlandschaft. Selbst großproduzierte TV-Serien wie „The Wire“ und „Breaking Bad“ beschäftigen sich sehr differenziert mit diesen Themen, Christian Bale hat gerade als ausgemergeltes White-Trash-Wrack den Oscar abgestaubt usw.

    Werd mir den Film aber sehr bald auch noch ansehen und meine spekulativen Bemerkungen eventuell wieder revidieren…

  4. CinemaniAC 1. April 2011 um 11:05 Uhr · Antworten

    Ich wurde bereits durch Buchbesprechung im dradio „heissgemacht“ -> http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1391327/

    absolut sehenswerter Film aus einem „ganz anderen“ Amerika, der uns bis zum überraschend aufgelösten Ende mit dem Blick der exzellenten Hauptdarstellerin (überhaupt: auch die Kids: sensationell, die anderen Männer & Frauen jederzeit echt „furchteinflössend“) verzweifelt auf die Suche schickt

    Die interessanteren „US-Indies“ kommen aus der „Provinz“, wie auch schon Wendy and Lucy von Kelly Reichardt.

    Schade, dass man in der selbsternannten „Filmstadt Aachen“ die richtige Atmosphäre des Dialekts wieder mal vermissen darf – und dass die durch eine Naht (Riss? whatever…) geteilte Leinwand im Mini-Apollo-2 bei hellen Filmszenene umso deutlicher die Bildqualität leidet. Eben nur abgespult, statt bewusst gespielt ^^

    Ein Film, der etwas Mundopropaganda und Zeit braucht – und dann als „sleeper“ unglaubliche Besucherschichten anziehen könnte…

    P.S.: Auch die Lieder leider nicht untertitelt

  5. Paul 18. März 2011 um 20:31 Uhr · Antworten

    Ich konnte den Film schon bei der Viennale im Kino sehen (ohne viel drüber zu wissen) und er hat mich gepackt wie es selten gelingt. Verfolge daher nun, da er bald offiziell ins Kino kommt, mit Interesse, wie der sonst so aufgenommen wird (und war über die völlig an den eigentlichen Qualitäten des Films vorbeizielende Kritik von Gobbin schon sehr verwundert).

    Schöne Gegenposition dazu hier, auch dank der Beispiele wie etwa „Deliverance“, der ja auch etwas fragwürdig sein mag, aber dennoch sehr packend ist. Man sollte diesen ungemein intensiven „Winter’s Bone“ jedenfalls nicht aufgrund in meinen Augen etwas fadenscheiniger ideologischer Bedenken (die man bei wahrscheinlich 90% aller Thriller, Actionfilme usw. dann auch äußern müsste) verpassen, der ist ein echtes Highlight.

  6. Eckhard Heck 9. März 2011 um 16:28 Uhr · Antworten

    Martin Gobbin beschreibt auf F.LM meiner Ansicht nach, was er sehen wollte, nicht, was er gesehen hat. Ob er die Verhältnisse aus eigener Anschaung kennt über die er scheinbar genau Bescheid weiss, oder auch hier nur mutmasst, wird nicht so ganz klar. Ich vermute eher letzteres.

  7. Alex Klotz 9. März 2011 um 15:55 Uhr · Antworten

    Interessant – gerade erst die Kritik auf F.LM gelesen, die den Film fast gänzlich andersherum beschreibt…

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