Der Exorzist und die Kindhexe

Von  //  4. September 2011  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

Ein Buch sollte über die EXORCIST-Nachzieher der 1970er geschrieben werden. In aller Welt schossen Imitationen aus dem Kraut; aus Italien kamen mindestens vier, aber auch Frankreich, Deutschland, die Türkei, Brasilien und Spanien mischten mit. Man hüte sich davor, alle diese Filme über einen Kamm zu scheren: zwischen SHEYTAN (einem fast wörtlichen Remake) und CHI SEI (einem sträflich unterschätzten Stück Gebrauchssurrealismus, in dem nicht einmal ein Exorzismus vorkommt) liegen Welpen, die niedlich ihre Köpfchen drehen, weil sie noch nicht wissen, dass auch schon Filme über Anneliese Michel gedreht worden sind. Aber heute wollen wir über die Kindhexe reden.

Vater der Kindhexe (Buch und Regie) war Amando de Ossorio, der mit dem ersten Film über die reitenden Leichen durchaus Talent bewies und eben den am Rhein spielenden LAS GARRAS DE LORELEI, der nicht nur Heinrich Heine das Herz aus dem Leibe reisst, gedreht hatte. De Ossorio vermischte Ideen und Situationen des Originals mit Traditionen, die mindestens eine Generation älter aussehen, und fügte außerdem menschliche Bösewichter in Form einer befremdlich aussehenden alten Zigeunerin, die unter dem Vorspann in eine Kirche einbricht, und ihrer Babies raubenden Kumpaninnen (männliche Zigeuner kommen nicht vor) ein. Ein Priester und ein Politiker diskutieren das Geschehen:

Pater Juan: „Was war mit der Kerze, die dem Teufel geweiht war? Eine Gotteslästerung!“
Mr. Barnes: „Diese Dinge passieren gewöhnlich bei Einbrüchen.“
Pater Juan: „Der Dieb glaubt an den Konflikt zwischen gut und böse. Warum nicht? Irrtum und Pervertiertheit existieren – wir sind von teuflischer Gegenwart umgeben.“
Mr. Barnes: „Das ist wahr, aber nur auf einem einfachen Niveau.“

Nachdem dies geklärt ist, umstellt die Polizei das Zigeunerlager und nimmt die fiese Alte fest („Fassen Sie mich nicht an! Schlimme Dinge werden Ihnen zustoßen! Mein Herr wird mich schützen! Ihr Schweine!“), die sich während eines Verhörs weigert, ein gekidnapptes Baby herauszugeben („Er wird dem großen Schöpfer geopfert.“), und schließlich aus dem Fenster springt. Dies schreit nach Rache: Susan, Barnes‘ kleine Tochter, bekommt von einer Zigeunerin, deren Overacting durch das der Synchronsprecherin kongenial ergänzt wird, eine dildo-ähnliche Teufelsfigur mit LED-Augen, die sie in ihrem Teddybär versteckt, und als nachts der transparente Geist der Alten ihre Leiche verlässt und Susans schlafenden Körper betritt, ist die Sache klar: Für den Fall, dass Atheisten noch zweifeln, erhebt sie sich schwebend aus ihrem Bett und legt sich dann wieder hin, wozu wir seltsamerweise windunterlegte Geräusche einer Zahnradbahn hören, wovon aber Susan auch nicht erwacht.

Levitiert wird später nicht mehr, aber Susan – unterstützt durch ein Ritual der Zigeunerinnen („Hass und Perversion warten auf dich, Susan! So sei es! So sei es!“ ) – beginnt ungehörige Antworten zu geben, über Sex zu reden und sich mitunter in the spitting image der Alten zu verwandeln. (Die junge Darstellerin Marián Salgado, übrigens Linda Blairs spanische Synchronsprecherin, sieht schon im Normalzustand eigenartig aus, ihr Alte-Frau-Make-Up ist das verstörendste Element des Films.) Außerdem gibt es Möbel, die durchs Zimmer fahren, aber dennoch weniger erschreckend wirken als die Tapeten, die nur an der Wand kleben, und da uns nichts erspart bleibt, sehen wir auch eine Rückblende aus dem Leben des Priesters und was aus seiner damaligen Geliebten geworden ist („gestern hat sie eine ganze Flasche Gin getrunken“). Zwischendurch wird gefachsimpelt:

Pater Juan: „Die Macht des Bösen existiert wirklich. Sie kommt vom Satan. Aber um das zu verdeutlichen, braucht man Personen und Sachgegenstände.“
Psychiater: „Heute, nachdem es wissenschaftlich erwiesen ist, dass ein Elektron zur gleichen Zeit zwei Löcher passieren kann, wenn sie auf beiden Seiten einer Fläche angeordnet sind, kann alles als natürlich erklärt werden.“

Das ist wahr, aber nur auf einem einfachen Niveau, nämlich dem des Films, der irgendwie aussieht, als hätte ihn Susans kleiner Bruder gedreht. Deshalb gibt es auch einen politischen Unterton, der nirgends hinführt: Mehrfach wird die „harte Hand“, die Susans Politikervater einsetzt, „um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten“, thematisiert (ganz zu schweigen von der Anweisung an seinen Sekretär, nachdem er eine Rede diktiert hat: „Am besten, Sie schreiben’s nochmal ab.“), die gegen die Mächte der Finsternis aber auch nichts bewirkt. Selbst die Musik hat ihren eigenen Klischee-Höhepunkt, wenn eine geisterhafte Chormelodie sich nicht etwa als Teil des Scores erweist, sondern einfach als die örtliche Kirchenchorprobe. Und die Versuche des Films, uns mit dem Thema Sex zu schockieren, klappen auch nicht so ganz:

Susan: „Haben Priester auch so ein Ding wie andere Männer?“
Pater Juan (gutaussehender Mitt-Dreißiger, vorsichtig): „Worauf willst du hinaus?“
Susan (sachlich): „Auf Sex.“
Pater Juan (in erhoffter Vertretung des Zusehers ernsthaft beunruhigt): „Wer hat mit dir über diese Dinge geredet?“

In der zumindest vom Konzept her seltsamsten Szene des Films lockt old Susan einen Reporter in den nächtlichen Park und erwürgt ihn, wobei sie zugleich fordert, er möge mit ihr schlafen. Als er das, da tot, nicht tut, schneidet sie (off-screen) die zuständigen Teile ab und tänzelt damit fröhlich davon, ein weiteres Opfer unterlassenen Sexualkundeunterrichts. (Die Teile schenkt sie später seiner Verlobten.)

Das Finale beginnt damit, dass die Polizei die Zigeunerbrut beim Teufelsanbeten stört (Polizeichef: „Aufhören! Ihr seid alle verhaftet!“ – Zigeunerinnen: „Iiiiih!“), alle laufen eine Zeitlang durch den Wald und der Inspektor schießt aus nächster Nähe auf eine Zigeunerin und ist dann erstaunt und betroffen, als sie stirbt. Der Priester holt die besessene Susan ein, die zwar aus ihrem Mund einen Sturm wider ihn entfacht, aber schlußendlich angesichts eines Kruzifixes (bzw. eines Eisenteils, das sie von hinten aufspießt) erlöst wird. Mir fällt kein Schlußsatz ein.

La Endemoniada / Demon Witch Child, Spanien 1975, Regie: Amando de Ossorio

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Über den Autor

Andreas Poletz (1185 bis 1231), aus Chorazin gebürtig, beschrieb seine Seele als »einen schrecklichen Sturm, umhüllt von ewiger Nacht«, und behauptete, dass er aus Verzweiflung begann, seine Hände und Arme zu zerfleischen und mit den Zähnen bis auf die Knochen zu zernagen (incipit manus et bracchia dilacerare et cum dentibus corrodere useque ad ossa). Ist aber nicht wahr.

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