Zucht und Ordnung

Von  //  26. Februar 2012  //  Tagged: , , , ,  //  1 Kommentar

Da sitzen sie, Manfred und Jürgen, wie Waldorf und Statler in ihrer spartanisch aber nicht nüchtern eingerichteten Berliner Dachgeschosswohnung, die aus einer Zeit vor dem großen Konsumrausch zu stammen scheint. Einer Zeit, in der die Dinge noch einen Wert hatten und ein Leben lang hielten, einer Zeit mit Schrankpapier und gekämmten Teppichfransen. Manfred und Jürgen, beide deutlich im letzten Lebensdrittel, sind ein Paar, und das offenbar schon recht lange. Man hat den Eindruck, die beiden seien in dieser zu Unrecht nicht berüchtigten Beziehungsphase, in der man nicht mehr unterscheiden kann, ob man sich selbst anfasst oder ob der andere es tut. Und so spielen die beiden ihr Beziehungspiel, für den Jan, damit der was zu gucken hat, und für uns. Mit Gewissenhaftigkeit und Routine exerzieren Manfred und Jürgen ihr SM-Programm durch, das so wenig mit Ekstase und Kontrollverlust zu tun hat, wie die meisten anderen Alltagsverrichtungen in einer Dauerbeziehung. Züchtig und ordentlich eben.

Und mit einer guten Portion Komik. Auch (oder gerade?) jenseits der 60 ist Sex eben auch eine Frage des Improvisationstalents. Und so demonstrieren die beiden ihre Sammlung an Sexspielzeugen, Haushaltsutensilien und Einrichtungsgegenständen, die beim lustvollen Spiel mit dem Schmerz und dem Lass-Nach zum Einsatz kommen. Sie entwirren gemeinsam verdrehte Riemen, freuen sich, wenn alle Eier ihren Platz im Geschirr gefunden haben, mühen sich, um die Schnallen von Halsbändern zu schließen, machen unvermutet Pinkelpäuschen und hängen aus Rücksicht auf die arthritischen Gelenke auch mal nur einen Arm an die eigens dazu aufgespannten Ketten. Das Beste daran ist, dass Manfred und Jürgen trotz aller Komik nie ihre Würde verlieren. Man respektiert sie in dem, was sie tun, so wie man auch Uhrmacher, Briefmarkensammler und Rosengärtner respektiert. Man sieht, dass sie wissen, was sie tun, zwei vom alten Schlag.

Deutschland 2012, Regie: Jan Soldat

Flattr this!

Über den Autor

Bianca Sukrow, geb. in Aachen, ist Literaturwissenschaftlerin, Mitgründerin des Leerzeichen e.V., freie Lektorin und Journalistin. Im persönlichen Umgang ist sie launisch, besserwisserisch und pedantisch.

Alle Artikel von

Ein Kommentar zu "Zucht und Ordnung"

  1. Alex Klotz 26. Juli 2012 um 22:40 Uhr · Antworten

    Den Film kann man seit heute legal als Stream schauen oder downloaden, und das ziemlich günstig.

Schreibe einen Kommentar

comm comm comm