Baloney at Berchtesgaden

Von  //  1. April 2012  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

Pre-Production PR-Montage

Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs trieb Hollywood ebenso eifrig Propaganda wie Goebbels im Deutschen Reich. Schauspieler, die gezwungen gewesen waren, aus Deutschland zu fliehen, fristeten nun ein sonderbares Dasein damit, in Hollywood Nazis zu spielen. Conrad Veidts Rolle in CASABLANCA (1943) ist da nur die Spitze des Eisbergs: selbst Otto Preminger tauchte 1942 in THEY GOT ME COVERED, einer Bob Hope-Komödie, als Spion auf. Das Genre Komödie bot sich als Mittel, die kriegsgerechte Botschaft zu vermitteln, an: so drehte Charles Chaplin THE GREAT DICTATOR (1940) und Ernst Lubitsch TO BE OR NOT TO BE (1942). Aber auch Komiker wie Laurel & Hardy, Abbott & Costello, die Ritz Brothers, die Three Stooges oder Red Skelton kämpften gegen the enemy, und selbst in die Cartoons drang der Krieg ein: Bei Walt Disney erschien Donald Duck in THE FUEHRER’S FACE (1943) und Bob Clampett entwarf im selben Jahr „Gremlins in the Kremlin“ in RUSSIAN RHAPSODY. Wo also bleiben die Marx Bros.?

Nach THE BIG STORE (1941) hatte Groucho Marx verkündet: „Auf Wunsch des Publikums ziehen wir uns zurück“, und es wird meist davon ausgegangen, daß – aus finanziellen Gründen – erst 1946 mit A NIGHT AT CASABLANCA wieder ein Film mit den Brüdern gedreht wurde. Nun sind aber weder dieser Film noch LOVE HAPPY (1950), der letzte Marx Bros.-Film (sofern man von Irwin Allens Unding THE STORY OF MANKIND (1957) absieht, was nur zu empfehlen ist: Harpo etwa spielt darin Isaac Newton), besondere Errungenschaften, und wie propagandistisch und einfältig BALONEY AT BERCHTESGADEN auch geraten wäre, scheint es doch zweifelhaft, daß die Brüder sich dem Projekt von vornherein verweigert hätten.

In der Tat trägt das (unsignierte) Drehbuch von BALONEY AT BERCHTESGADEN deutliche Hinweise auf die aktive Mitarbeit der Stars oder zumindest auf gewissenhaftes Recycling ihrer früheren Filme. Es versucht teilweise, die Absurdität von DUCK SOUP (1934), weiterzuführen; da sich diese Vorgangsweise offensichtlich nicht zu Propagandazwecken eignet, wird auf die abgeschmackte Idee einer Liebesgeschichte (samt Songs) zurückgegriffen, die den Marxens das Ziel vorgibt, die Liebenden zu retten: Diese Verwässerung war es, die späteren abwertenden Aussagen Grouchos zugrunde lag.

Grouchos Rolle ist die des schiffbrüchigen Konzertagenten Murgatroyd J. Humperdinck, der auf der Flucht vor Gläubigern mit seiner Starnummer, einem Pudel, der Adolf Hitler imitiert („Mach Heil!“), an eine KZ-Tür klopft. Da man ihn für einen Spion aus Berlin hält („so dumm kann niemand sein“), tut man alles, um ihn und den Hund zu beeindrucken: Eine vom kulturbeflissenen Lagerführer Von Schneutz (Sig Rumann in praktisch der selben Rolle wie in TO BE OR NOT TO BE) improvisierte Shownummer, in der die Gefangenen – lange vor Mel Brooks‘ THE PRODUCERS (1968) – das Regime preisen, verleitet ihn zur Annahme, es handle sich um eine Off-Broadway-Show. Humperdinck bietet sich als Impresario an und befreit Chico und Harpo, die man in irgendeiner Grenzkneipe beim Falschspielen erwischt hat und gerade dabei waren, ihre Wärter auszunehmen, aus ihren Zellen, um mit ihnen „die Kritiker zu erschrecken“. Eine Szene, in der Harpo mit Bettfedern Harfe spielt, erinnert an den Laurel & Hardy-Film THE FLYING DEUCES (1942). Der junge polnische Tenor (nicht jüdisch? hier schweigt die Besetzungsliste) aus Block 8 singt ein Liedchen, wird engagiert, und die jugendliche Naive, die immer Bier herüberträgt, verliebt sich in ihn. Eine story session unter Mitwirkung von Von Schneutz gerät zum Disaster („Sehen Sie sich meine Idee doch einmal an!“ – „Wozu denn? Sieht sie mich an?“) und die Lagerärztin versucht Harpo zu verführen, wobei ihr Laboratorium zu Bruch geht, aber generell läuft alles nach Plan, bis Goebbels zur Visite auftaucht und Humperdinck bei einer Lage(r)besprechung seinen Mund nicht halten kann:

HUMPERDINCK: So, Sie wollen Minister meines Pudels sein? Ich hoffe, Sie haben Flöhe.
GOEBBELS: Was geht hier vor?
HUMPERDINCK: Meine Uhr geht vor, und Sie gehen mir auf den Geist. Sollten Sie das für geistreich halten, muß ich Sie entgeistern: Es ist lausig. Ich hoffe, Sie haben Läuse.

Während der finalen Verfolgungsjagd (Chico spielt Piano dazu) erheben sich die Lagerinsassen, Von Schneutz verfällt dem Wahn, der Held seiner „Show“ zu sein, Goebbels wird vom Pudel gebissen. Vor dem Schlimmsten bewahren unsere Helden die per Fallschirm eintreffenden GIs.

So weit das Drehbuch. Kann man über Geschmack streiten? Nach Auschwitz über Komödien reden? Das Konzept ist albern, aber nicht alberner als andere Filme dieser Zeit (etwa THE DEVIL WITH HITLER (1942), wo der Teufel selbst sich gezwungen sieht, gegen Hitler einzuschreiten, um seine Höllenherrschaft zu bewahren). Auch Lubitsch hatte man Geschmacklosigkeit vorgeworfen, ohne ihn damit zu stören. Warum also kam man bei MGM davon ab, den aus ihrer Sicht völlig logischen Schritt zu tun, die Brüder Marx in einem wartime effort einzusetzen? Die Antwort liegt, wie nicht selten, in Studiointrigen.

Bela Lugosi, der für die Rolle des KZ-Leiters vorgesehen gewesen war, wurde vom bekannt ruppigen Louis B. Mayer mit der für eine Komödie seltsamen Begründung, Lugosi wäre nicht ernstzunehmen, abgelehnt, stattdessen verkündete er vor der Presse, er hätte Joan Crawford (!), die er schon seit längerer Zeit loswerden wollte, in der Rolle besetzt. (Nicht zuletzt deshalb unterschrieb die Crawford noch 1942 einen Vertrag bei Warner Bros.) Zur gleichen Zeit erhob Groucho Einsprüche gegen das Drehbuch und forderte Mayer auf, die bewährten Marx-Autoren George Kaufman und Morrie Ryskind zu engagieren. Doch Mayer lehnte ab und pochte auf seinen Vertrag mit den Brüdern. Die Dreharbeiten begannen, und am zweiten Abend kam Mayer mit einigen Studiogranden zur Vorführung der ersten dailies.

In seinen Memoiren HOLD THAT LION erinnerte sich Dore Schary, damals Leiter der B-Film-Abteilung MGMs und 1951 L.B. Mayers Nachfolger, daran, wie das Projekt starb: „L.B. saß etwa zehn Minuten wie versteinert da, während sich im Vorführraum das hysterischste Gelächter ausbreitete, das ich je gehört habe. Alle versuchten, ihr Lachen zu unterdrücken, aber den wenigsten gelang es; ich persönlich biß mir auf die Knochen. Was wir auf der Leinwand sahen, war Groucho in einer vollendet fiesen Parodie auf L.B. höchstselbst. Und der blieb erstaunlicherweise ruhig, wenn auch zitternd, sitzen, starrte auf die Leinwand und schwieg eisern – aber nur bis zu dem Moment, als sich Groucho an Sig Rumann, der den Lagerkommandanten spielte, wandte und sagte: ‚Ach, Mrs. Crawford, so trifft man sich wieder!‘ Dann brach die Hölle los.“

USA 1943, Regie: Edward Buzzell, Produktion: MGM, mit Groucho Marx (M.J.Humperdinck), Harpo Marx (Zero), Chico Marx (Rossellini), Sig Rumann (Von Schneutz), Gale Sondergaard („Fraulein Doktor“), Martin Kosleck (Goebbels)

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Über den Autor

Andreas Poletz (1185 bis 1231), aus Chorazin gebürtig, beschrieb seine Seele als »einen schrecklichen Sturm, umhüllt von ewiger Nacht«, und behauptete, dass er aus Verzweiflung begann, seine Hände und Arme zu zerfleischen und mit den Zähnen bis auf die Knochen zu zernagen (incipit manus et bracchia dilacerare et cum dentibus corrodere useque ad ossa). Ist aber nicht wahr.

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