Gemini / Always Ready / The Erotic Films of Peter de Rome

Von  //  13. August 2012  //  Tagged: , , ,  //  Keine Kommentare

Peter de Rome Artikelbild

Als ich noch Babysitterin war, erzählte mir ein kleines Mädchen: „Gestern durfte ich länger aufbleiben und einen Film für Erwachsene gucken. Der war so schön, dass ich manchmal nicht mehr hinsehen konnte. Ich hab mir die Decke über den Kopf gezogen.“ – „Was war denn in dem Film so schön?“, fragte ich. – Sie: „Wenn sie Sex gemacht haben.“
Ich bin mir sicher, dass sie nicht Pornos geguckt hat, es war bestimmt nur ein Film mit Nacktheit und Liebe. Aber dass dessen Schönheit sie ehrfürchtig machte, fand ich schön.


Die Anbetung des Herrn

Ziemlich oft erinnern mich Szenen in schwulen Golden Age Pornos an religiöse Darstellungen auf alten Gemälden; sie haben beide diesen intensiven Blick auf den männlichen Körper als Kunstwerk und Heiligtum. Für die Künstler früher waren die Versuchung durch Dämonen, Höllenlandschaften und besonders Jesus am Kreuz die große Gelegenheit, fast nackte Männer zu malen – hingerissen, anbetend, mit Sehnsucht und Erregung. Man ließ die Faltenanordnung des grob geknüllten Tuchs, das Jesu Schwanz bedeckt, sich beulen, seine Augen sich entrückt und pathetisch verdrehen. Und diese Bilder sahen die Männer und Frauen dann in der Kirche, inmitten von tropfenden Kerzen und flehenden Liebesliedern aus einer brausenden Gefühlsorgel, mit dem schmelzenden Leib auf der Zunge.
Belegen die monotheistischen Religionen die Sexualität mit so vielen Verboten, weil sie sie als Konkurrenz sehen? Es geht in religiösen, aber auch politischen, kulturellen und sexuellen Auseinandersetzungen fast immer um die Frage: Welchen Mann verehren wir?
Uff. Das alles führt mich an die Grenzen meines Denkvermögens.

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Gemini
Die Bilder oben und auch die unten sind aus Gemini, mit Jack Wrangler, dem berühmten Darsteller. Er hat in diesem Film einen wechselhaften, unsteten Sexstil. Manchmal anbetend zärtlich, dann wütend und heiß, flackernd, zwischen krampfig und gelöst. Musik und Darsteller sind progrockig cool, Pink Floyd`s „Careful with that Axe, Eugene“, taumelnde Musik, verzweifelte, sehnsüchtige Schreie, während Jack Wrangler seinen wehen, offenen Mund stumm an das Glied seines Partners bei den Mülltonnen im Hinterhof presst und seine Hände um seine Beine krampft. Wo will man hin, wenn man so ist? Diese Verherrlichung des fremden Körpers, die träumende Verehrung, mit der Jack vor einer Art Kirchenfenster im Gegenlicht an den Fingern eines Bauarbeiters saugt. Sein Eifer, sein Engagement, gefilmt mit einer großen Ruhe, die die Leute in ihrer innigen, zärtlichen, schwelgenden Versunkenheit schön und melancholisch aussehen lässt. Spermatropfen auf dem Bauch oder dem Rücken, Beweise von Gefühl und Leben, wie Tränen. Der leidende feste Freund mit dem unendlich traurigen Blick. Geheimnisse. Eifersucht. Manchmal sieht es aus, als wären die Penisse gute oder böse Geister, die die Jungs einander zeigen. Aber ich habe das Gefühl, den Film nicht wirklich zu verstehen.

USA 1977, Regie: Steve Scott

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Always ready

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Seltsames Spiel, das dieser Mann und der Junge vor dem Bürofenster zu Manhattans Skyline zu einer repetitiv pluckernden Musik treiben, von absurder Schönheit.

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Casey Donovan, in seiner Wohnung, erhält mit der Post die Einladung, bei einem Film mitzumachen. Während er die Szenenbeschreibungen liest, stellt er sich die Szenen vor.

In diesem Film ist Donovans Gesicht oft angespannt. Es scheint, dass er sich mit seinen vielen, auch unsexuellen Soloszenen nicht wohl fühlt; er spielt sie so, als schauten ihm zu viele zu, über deren Gedanken er nachdenkt. Sobald es ein Gegenüber für ihn gibt, wird das anders.

Von dem hübschen Jungen auf der Toilette, der, wie ein Kälbchen an der Zitze, so hingerissen süchtig seinen Sexpartner anbetet, darf ich auf unserer jugendfreien Seite die schönsten Bilder nicht unzensiert zeigen. Aber auf das Foto will ich nicht verzichten. Alleine schon wegen des schönen blauen Pullis.

Die zwei, und auch die beiden Jungen in dem Auto, schreibe ich Toby Ross zu, der bei dem Film Co-Regisseur war. Wie auch in seinem Film „White Trash“ wirken die Teenager-Darsteller manchmal ein bisschen unfreiwillig bei ihrem Sex. Vielleicht bin ich auch zu besorgt. – Auch hier sind die schönsten Bilder nicht jugendfrei. Erregte Schwänze sind ja eine perverse Ungeheuerlichkeit, die in der Jugend bekanntlich von Natur aus noch nicht vorkommt und nur von Erwachsenen mental verarbeitet werden kann, wenn überhaupt vor irgendeinem Menschen auf der Erde.

USA 1982, Regie: Wakefield Poole, Toby Ross

The Erotic Films of Peter de Rome

De Rome war vom Aussehen her eine Mischung aus Edgar Allan Poe (was er selbst belustigt bemerkte und betonte) und einem schnurrbärtigen, stämmigen Südstaaten-Gentleman, wie Hemingway oder Faulkner… (außerdem sieht er meinem alten Freund Georg Menzel unglaublich ähnlich). Die acht kleinen Filme hat er erst nur für sich und seine Freunde gedreht, bevor sie Kult wurden.

Man sieht ihn in diesen Filmen als reisefreudigen und kunstsinnigen Bonvivant. Aber man sieht auch die dunkle, manipulative Seite, mit Grausamkeit vermischt. Grausamkeiten in sexuellen Situationen sind noch ein ziemlich unbekanntes Feld für mich. Ich denke, wie bei fast allem, was mir rätselhaft an anderen ist: Es steckt Angst dahinter; wer Angst machen will, hat selber welche. Aber vielleicht hab ich auch einfach keine Ahnung.

Bei de Rome ist der Gedanke an religiöse Rituale offenkundig. Eine der Szenen spielt sogar in einer Kirche.

One: Double Exposure
Eine ähnlich hochsommerliche Atmosphäre wie die Häuserszenen in Wakefield Poole`s BOYS IN THE SAND, der zwei Jahre später (1971) entstand. Der erotische Tagtraum eines Jungen draußen und eines Jungen drinnen, im Zusammenspiel mit lichtdurchfluteter, offener, moderner Architektur – Swimmingpools, Boardwalks, große Fenster.

Two: Hot Pants
Ein stämmiger Junge mit brauner Haut tanzt in Jeans und schwarzem Netzhemd zum gleichnamigen Stück von James Brown. Man sieht nur sein Becken, das er entblößt, dann wichst er, immer weiter tanzend, bis das Sperma seine Hände nass macht. Das Standbild dann ist toll, aber hier unzeigbar – eine dramatische Großaufnahme der Eichel und der Finger, in brennend rotem Licht.

Three: The Second Coming
Es beginnt als Urlaubsfilm. Leichter Modern Jazz, de Rome und ein Freund in Paris, Malaga, Casares, alles gleißend sommerlich. Jemand spielt mit ihnen, lässt sie Zettel finden, die sie in eine Gasse führen, zu einer Tür in eine Kirche. Plötzlich Dunkelheit und Jesus, nackt am Kreuz. Die Augen seiner Jünger leuchten. Sein Penis bewegt sich und wird steif, wie von Geisterhand, bis sein Samen auf seinen Bauch und sein Gesicht spritzt wie ein Wunder.

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Four: Day Dreams from a Crosstown Bus
Die romantische sexuelle Fantasie eines Mannes, der aus einem Bus einen jüngeren Mann auf der Straße sieht, erfüllt sich nicht. Aber wir sehen ja, was er sich vorstellt. Fantasie, Realität, für uns machen sie keinen Unterschied, so lange wir in einen Film gekrochen sind.

Five: Mumbo Jumbo
Eine stylisch-flotte, ironisch-witzige Collage aus Bildern von Männern, Autos, Werbung. Dann wixt ein Mann zu einem Feuerwerk und einer orgastisch übersprudelnden Musik – Wagner, Strauß, Bruckner?

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Six: Green Thoughts
Ein Mann im grünen T-Shirt verehrt einen Baum in einem botanischen Garten, schmiegt sich an seinen Stamm, besteigt die Wendeltreppe zu einem Baumhaus. Ein Mann im blauvioletten Zwielicht masturbiert seinen großen Schwanz. Flirrende Musik. Gewächshäuser.

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Seven: Manhattan Underground
Mutig und sexy, der Sex zwischen zwei Fremden, ohne Drehgenehmigung, in der wirklichen New Yorker U-Bahn, spät nachts, im letzten Wagen einer wenig befahrenen Strecke. Die beiden Männer und die Kamera werden immer kühner und aufgedrehter. Applaus aus meinem Inneren.

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Eight: Prometheus
Prometheus brachte den Menschen das Feuer. Den Witz, dass ein Mann, der einem Fremden Feuer für seine Zigarette gibt, dafür bestraft wird, lässt sich Peter de Rome nicht nehmen. Wie in der antiken Sage, wird sein Prometheus daraufhin von den erzürnten „Göttern“ entführt und an den „Fels“ eines Zimmerbodens gefesselt. Drahtzieher ist ein Typ im Jesusgewand, der Charles Manson ähnelt. Bedeutungsvoll winkt er einen Quälgeist nach dem anderen in das Zimmer. Bis es am Ende vier Männer sind, die sich an Prometheus vorsichtig, behutsam und gezielt zu schaffen machen. Das Ritual erinnert an modernes Ballett; ungestört widmen die Männer sich ihrer Körpergrenzen auflösenden Tätigkeit, bis von dem Begründer menschlicher Kultur nichts mehr übrig ist als seine schlaffe, müde und zufriedene Hülle.

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USA 1973, Regie: Peter de Rome

Um die Klammer vom am Anfang meines Textes zu vervollständigen: Hier der ganz gegensätzliche Bericht eines Kindes über Filme für Erwachsene:

„So ein Schwarzweißfernseher war schon eine Bereicherung. Die Grauschatten beklagten sich niemals darüber, dass ich so schweigsam sei. Und wenn ich genug von ihnen hatte, konnte ich sie einfach ausschalten. Bei der Haha (Mama) und dem Dachs (Papa) war das nicht möglich. Leider gab es beim Fernsehen auch einen Nachteil. Es war mit Schmerzen verbunden. – Geraume Zeit später stöhnte ich auf und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Tat das weh! Die Haha und der Dachs schenkten mir keine Beachtung, mein Gejammer war nichts Neues. Bang linste ich zwischen meinen Fingern zum Fernseher, wo sich zwei Grauschatten ihrem Tun hingaben. Aufgeregt summte ich in meine Hände, um die Grauschatten aus meiner Welt fortzusummen. Es half nichts. Die Grauschatten setzten unerbittlich fort, wozu sie verdammt waren. Es wurde schlimmer. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Schmerzverkleckst drückte ich das Kopfkissen vor mein Gesicht und verkroch mich unter den Sofatisch. – Erst wehe Minuten später wagte ich mich auf meinen Platz in der Sofaecke zurück. Wann immer sich zwei Grauschatten in einem Film zu küssen drohten, riss es mich von den Polstern. Die Haha und der Dachs schrieben es meiner Unreife zu, dass ich mich derart verhielt. Es war nicht Unreife. Es waren die Gesichter. Sie verwölkten sich ineinander, was scheußlich aussah.“ (Axel Brauns in seinem umwerfenden Buch „Buntschatten und Fledermäuse“).

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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