Mediastan

Von  //  7. November 2013  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

Filmfiguren die unseren Wünschen entsprechen, werden verehrt. Von ihnen geht eine Faszination aus, deren selbst Makel in jeglicher Form und Couleur nichts anhaben können. Im Gegenteil: gerade das macht sie perfekt. Dann gibt es Figuren, die uns gerade faszinieren, da wir sie abstoßend finden oder weil von ihnen ein anziehender Greul ausgeht. Ernst Stavro Blofeld, Lieblings-Erzfeind von James Bond, erreicht seine Überlebensgröße durch das Fehlen eines Gesichtes. Da bleibt nur der Oberkörper mit einer Katze, prägend simpel und durch das fehlende Gesicht ist der Fantasie keine Obergrenze gesetzt. Die Kategorie Schönheit spielt bei ihm keine Rolle. Dabei ist die Schönheit des Gesichts ein Vorteil beim sozialen Fortkommen. Mannigfache Experimente erhärten den Verdacht, dass schöne Menschen in der Schule bessere Noten bekommen und später im Berufsleben höher eingeschätzt werden. Kombiniert man nun ein schönes Gesicht mit dem (Ober)Körper von Ernst Stavro Blofeld, kommt als Resultat Julian Assange heraus. Assange wird den Feindbestimmungskategorien von Ian Fleming mehr als gerecht: Er ist sexuell nicht „normal“, von niederer Herkunft und sein erstes Hackerpseudonym war das lateinische Wort für Lügner – Mendax.
Julian Assange ist der erste wirkliche archetypische Held des 21.Jahrhunderts. Ein Transformator verschiedener medialer Ströme bei dem nicht mehr getrennt wird zwischen Prägungen seiner Kindheit, Lerneffekten seiner Hackerkarriere, phantasmatischen Spiegelungen und Informationen aus dem medialen Pool: alles fließt zusammen und verschmilzt zu einer stabilen Struktur von Prioritäten, Handlungsbedarf und Aktualisierung. Freilich darf eine solche Figur nicht nur mit einer einzigen Verfilmung abgespeist werden.
„Mediastan“ setzt zeitlich bei der Verhaftung des US Army Analysten Bradley Manning ein. Eine kleine Gruppe von Journalisten reist durch Zentralasien. Ihr Anliegen ist es Redakteure der ortsansässigen Zeitungen für die Veröffentlichung von Wikileaks-Informationen zu gewinnen. Diese reagieren bräsig bis skeptisch. Ein tadschikischer Redakteur entscheidet sich gegen die Nutzung von Wikileaks, da er befürchtet, von den Putschisten verklagt zu werden. Sein kirgisischer Kollege will, darf aber nicht. Den Vogel schießt ein Journalist aus Kasachstan ab: „Ich glaube nicht an den Ein-Mann-eine-Stimme-Quatsch.“
Dass es mit dem „Journalismus“ bergab geht, hat sich mittlerweile auch bei den einfältigsten Exemplaren der Sorte „Experten“ herumgesprochen, die dafür entlohnt werden, die Entwicklung der Gesellschaft zu beobachten. Allerdings sind die wenigsten bereit, darin ein unvermeidbares oder gar ein positives Phänomen zu erblicken. Die Verteidiger des Journalismus fühlen sich durch das allgemeine Zusammenzucken bestätigt, welches das Auftauchen dem Schein nach „postpolitischer“ Figuren wie Assange hervorruft. Die Reduktion der Politik auf ein Bild, oder schlimmer noch auf ein „reines Spektakel“, wird dann überall bejammert, vor allem seitens derjenigen, die sich momentan als Verlierer auf diesem Schlachtfeld sehen. Wer Wert darauf legt, ein ernsthafter und um das Geschick der Gesellschaft besorgter Beobachter zu sein, der verlangt, dass der „Journalismus“, der wahre, der seriöse, der „richtige Journalismus“ wieder auf seinen Thron gesetzt werde.
„Mediastan“ relativiert den Vorwurf gegen Assange, er sei wie ein Bondscher Bösewicht mit den zugespielten Informationen umgegangen. Es kristallisiert sich heraus, dass die Blätter, denen Wikileaks die Diplomatendepeschen, Abhörprotokolle und Bleistiftskizzen aushändigte, aus falscher Rücksicht gegenüber den Mächtigen manche Informationen einfach unter den Tisch fallen ließen. Ausgerechnet der „Guardian“ kürzte einmal einen Artikel von 5500 Zeichen auf 2000 herunter. Deren Chef Alan Rusbridger rationalisiert die Kürzungen, wird immer ungeduldiger, kann sich an Details nicht mehr erinnern, schaut auf die Uhr: „Um fünf muss ich gehen“. So viel zum investigativen Journalismus.
Man sitzt zynisch und saturiert die letzten 10 Minuten vor dem Schirm, als Bill Keller von der New York Times eher beiläufig einräumt, dass es regelmäßige Telefonkonferenzen zwischen dem State Department und der Redaktion (nicht nur wegen Wikileaks) gab.
Das Individuum, schreibt Debord 1988 in den „Kommentaren zur Gesellschaft des Spektakels“, weiß von der Welt nur noch durch die Vermittlung von Bildern, die Andere, und sicher nicht uneigennützigerweise, ausgewählt haben: „Wenn auf technischer Ebene das von jemand anderem erstellte und ausgewählte Bild die Hauptbeziehung des Individuums mit der Welt darstellt, die zuvor von ihm selber von jedem ihm zugänglichen Ort aus betrachtet wurde, dann ist klar, dass das Bild alles tragen wird, kann man doch darin alles und jedes widerspruchslos gegenüberstellen.“ Ebenso hart und lakonisch erzählt „Mediastan“ seine Geschichte und kommt dabei ohne Griffe in die narrative Trickkiste aus. Trocken wie ein Martini – der Zuschauer wird geschüttelt, aber nicht gerührt. Genau hier zeigt sich, dass Julian Assange keine (wirkliche/reale) Blofeld-Variation ist, denn dieser war stets darum bemüht seinen Mitmenschen kräftig Sand und Tand in die Augen zu streuen. Eine Katze dürfte trotzdem ein passendes Nikolaus-Geschenk sein.

UK 2013, Regie: Johannes Wahlstrom

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