Das Geheimnis des Dr. Z / Miss Muerte

Von  //  1. Februar 2015  //  Tagged: , ,  //  Keine Kommentare

Zwei Facebookfreunde hatten mir vorgeschlagen, uns in Köln diesen Film zusammen anzusehen. Normalerweise sag ich nein. Ich bin zu faul. Die Fahrt ist teuer, ich hab einen Berg von ungesehenen Filmen, und die beiden sahen jung aus auf den Fotos. Ich bin viel älter als die meisten meiner cineastischen Bekannten, und man könnte mich deswegen schief ansehen. Einmal ist mir das wirklich passiert. Danach sah ich plötzlich im Spiegel alt, hässlich und befremdlich aus. Es war wie Zauberei.

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Auch Köln ist hässlich. Aber lebendig. Beim Warten im Café las ich in den Tagebüchern von Anais Nin und wünschte mich in sie hinein.

Die beiden Jungs entpuppten sich aber als völlig freundlich. Sie waren anscheinend wirklich nur aus Neugier und einer vagen Vorschusssympathie hergekommen. Ich saß im Kino neben einem der beiden. Er lümmelte sich in seinem Sitz und suchte die richtige Haltung. Auch seine Haltung dem Film gegenüber war suchend, schwankend, zwischen kritischer Distanz und unschuldigem Vergnügen. Er wirkte wie jemand, der gern angefasst würde. Wenn auch natürlich nicht von mir.

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Und dann begann der Film, und damit etwas, das ich nicht beschreiben kann. Ich hatte so etwas Unmittelbares mit einem Film noch nie erlebt. Als hätte ich eine bewusstseinserweiternde Droge intus. Es war, als wäre „Dr. Z“ eine lebendige Person und hätte sich für mich nach Köln bemüht, um mir etwas Wichtiges zu sagen.

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Man klettert in den Film wie in ein Geäst, aus dem man die Menschen in ihm beobachtet. Alles bedeutet in Wahrheit etwas anderes, wie im Surrealismus. Er ist schwarzweiß und spielt in einem erfundenen Deutschland voll grausamer, gruselig kalter, moosiger Romantik. Da sind deutsche Firmenschilder, Bahnstationen und Geschäfte, enigmatisch, wie fingiert. Eine Gaskammer, aus deren Schornstein Qualm aufsteigt. Aufreizend banale, wie Trugbilder schwebende Dialoge (in der sehr guten deutschen Fassung). Häuser mit düsterer Miene und Geheimnissen. Kreischende Nachtzüge wie aus alten Kinderträumen. Bilder, dunkel saugend wie Moorlöcher, betäubend schwarz wie Kaulquappen. Der glänzende Waggonflur in der Nacht. Das lange, gemeinsame Geisterbad der eintagsfliegenhaft leichtlebigen Tramperin mit ihrer späteren Mörderin im Waldsee. Der erboste, schwarze Mercedes, der – gesteuert von der grausamen Vatertochter und Erbin eines verrückten Wissenschaftlers – das arglose Flittchen überfährt wie eine Lok oder ein wildes Pferd. Dann schiebt ihn seine Fahrerin ins Wasser, die ferngesteuerten Hände in Latexhandschuhen. Taumeln, veränderte Schwerkraft, eine Frau spielt in einem Nachtclub schlängelnd Trompete, eine Frau fließt über das Bühnenbild eines Spinnennetzes, magnetisch klebend, zu einer männlichen Schaufensterpuppe, an deren Beinen sie sich furchtbar sexuell hochzieht. Die experimentelle Musik klappert, klimpert, singende Sägen, alte Synthesizerklänge, mysteriös gluckernde Orgeln, Dissonanzen, Stimmen von Tieren im Labor. „Was ist das für eine Katze?“, fragt Jess Franco (als Kommissar), wissend, dass sich der Zuschauer das in dem Moment auch fragt, als ihn die Katze ungeplant am Set besucht.

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Alle agieren hocherregt, entgeistert, alarmiert, um den in allem steckenden pulpigen Wahnsinn hochzuschrauben. Irgendwas muss immer passieren, der Ball muss laufen, durch die Story und die Räume, nur nicht logisch. Der Film macht sich ein verspieltes Vergnügen daraus, seine Figuren in extrem unmoralische, grausame Situationen zu bringen. Er ist abnorm klug und wach; er weiß, dass er ein Horrorheftchen ist, ein Gruselkabinett, ein Kinder-Zauberkästchen, er ist davon belustigt und besessen. Ein ultraintensives, inspiriertes Kind, das sich immer tiefer bohren möchte in sein Spiel, bis dass der Teufel daraus hüpft.

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Dem „Filmdienst“ kam „Letztes Jahr in Marienbad“ in den Sinn; ich dachte, wegen der geheimnisvollen Puppenspieler-Haltung, manchmal an Orson Welles. Aber Resnais oder Welles erzeugten Magie mit hochanerkannten künstlerischen Mitteln, erwachsenem Stil, ausgeklügelter Form. Dr. Z. ist etwas grundsätzlich anderes. Bühnenhypnose. Voodoo-Hexerei. Als würde man mit Zauberpulver überschüttet.

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Auf dem Gebiet des komischen Nonsens ist vielleicht Helge Schneider ähnlich unterwegs. Ein Genie, das darauf pfeift, eines zu sein. Weil es etwas Wichtigeres im Sinn hat: das Wuschige, Magische, Berauschende – eine andere Bewusstseinsebene als die allseits Maßgebliche und „Diesseitige“.
Ich hatte das Gefühl, dass dieser Film mich kennt und mag so wie ich wirklich bin.

Spanien/Frankreich 1966, Regie: Jess Franco

Bei imdb beschreibt der estnische Schauspieler und Musiker Mart Sander besonders jene Szene im Zug, für die mir in meinem Text die Worte fehlten: „Probably a good starting point to explore your Franco. This is a well written and smoothly running yarn of obsession and revenge, with handsome and solid cast, hypnotic soundtrack and first class camera work. There’s the ethereal Estella Blain, a beauty who is changed into a killing machine, with powers to mesmerize men. Knowing that in real life she ended her life with a shotgun adds to the morbid fascination of seeing her. The scene of her seducing one of her victims on a train, in sudden silence and almost complete darkness as the train enters a tunnel, is so weirdly beautiful that one is compelled to watch it several times. My second viewing of this film was in a rather tired company, and I witnessed a drunkard – well, an intoxicated young gentlemen – wake up from his slumber just because of the dreamlike soundtrack and becoming glued to the screen. These are the moments that make a film the greatest of art forms.

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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