Spur der Steine
Von Jamal Tuschick // 17. März 2015 // Tagged: DEFA, Deutsches Kino, featured // Keine Kommentare
Geniale Abschweifung
Manfred Krug zeigt als Hannes Balla in „Spur der Steine“ der Welt und ihren Nebelkrähen den blanken Arsch. Er säuft mit seinen Ballas und führt sie großspurig an
„Sechzehn Schornsteine stützten den Himmel über der Stadt.“ So steht es geschrieben in Erik Neutschs Roman „Spur der Steine“, erschienen 1964 im Mitteldeutschen Verlag. Der Autor beschreibt eine Industriezone in der Vormauerzeit. Noch geht es um die gesamtdeutsche Befreiung der Arbeiterklasse. Man will Westdeutschland überflügeln und die Überlegenheit des Sozialismus beweisen. Die förmlich wie ein Mensch tätig oder ganz zur Maschine gewordene Landschaft wird als beispielhaft und vorbildlich für ein vereintes Deutschland dargestellt. Neutsch erfindet dem Giganten ein Schkona. Eine Batterie von Fabriken bildet ein Chemiekombinat. Nach allem greift der Auf- und Ausbau, das Leben ist eine Baustelle. Drei Konfliktfäden webt die Verfilmung von Sechsundsechzig in den ersten fünf Minuten zum Handlungsseil, mit dem sich mancher gleich aufhängen könnte. Der Film verschwand drei Tage nach der Uraufführung im Keller, in Beyers hochgelobtem Buchenwaldstreifen „Nackt unter Wölfen“ sind die Kommunisten im KZ so fest und famos wie Brigadier Balla auf dem Bau. Analog zu den Verwandlungen selbstständig wirtschaftender Bauern in Kollektivisten: widerfährt Balla das Wunder der Einsicht, nicht nur stolz auf sein Handwerk als permanente Autonomiebehauptung: „Ihr könnt Partei machen, wenn ich Feierabend habe.“ Der zweite Zündstoff steckt im Mangel. Managementfehler – „Planfetischismus“ fällt als problematisches Wort. Dazu kommt drittens Katrin „Kati“ Klee als neue Ingenieurin. Auftritt der vorgesetzten Frau. Mit ihr stemmt sich aber auch ein Staat gegen Arbeitskräfteschwund. (Man bildet für den Westen aus.)
Manfred Krug zeigt als Hannes Balla der Welt und ihren Nebelkrähen den blanken Arsch. Er säuft mit seinen „Ballas“ und führt sie großspurig an. Er haut mit Stuhlbeinen zu. Er tritt einen Kollegen vom Kipper, da er den Kies für „seinen“ Bau braucht. Er ergreift Frauen, die so ergriffen quietschen. Da Manfred Krug ihn spielt, tun die Überzeichnungen nicht weh. Ich sehe ihm gern bei der Arbeit zu. Und wie er sich wehrt und wie er weich wird wegen Kati, das ist auch schön anzusehen. Balla will mit Kati ins Kino: „Wegen Ihnen würde ich mir sogar einen DEFA-Film angucken.“ (Ein Brüller fürs Politbüro.) Krystyna Stypulkowska spielt die empfängliche Kati. Männer versuchen sie mit Herabsetzungen und Verniedlichungen („kleine Chefin“, „Mäuschen“) zu entschärfen. „Fräulein“ ist noch korrekt.
Nichts wird wahr ohne sein Gegenteil. Realismus vs. Idealismus – Ballas Gegenspieler heißt Parteisekretär. Eberhard Esche spielt Werner Horvath. Auf seine Art ist Werner genauso stur und schneidig wie der Holzer. Er will den „Texaskönig“ für die Republik gewinnen. Der „Weltverbesserer“ (Balla über Werner) gewinnt erst einmal Katis Zuneigung. Das hat Folgen.
Es raucht zwischen Balla und dem Sekretär. Noch weiß Balla nicht, was Selbstkritik ist. Alle anderen sind mit dem Sujet vertraut wie mit jeder Partei-Routine: „Na ja, irgendwann trifft es jeden.“ Werner wird gerügt und rügt selbst: „Wir loben und tadeln nach Nutzen und Notwendigkeit.“
Er ist verheirateter Vater, das Liebesspiel mit Kati demontiert ihn. An einem heiligen Abend pendelt er zwischen seinen Frauen. Balla ballert sich zu. Er sinniert über Werners Idealismus und über Deutschland in Stücken: „Drüben ist Scheiße und hier … standen doch eben noch ein Haufen Flaschen (auf dem Bord).“ Eine geniale Abschweifung. Ein Kollege mit einer Vergangenheit als Hauptmann munkelt im Gegenzug: „Ich hatte auch mal ein Ideal. Bei jedem Schuss dachte ich, er fiele für Deutschland.“
DDR 1966, Regie: Frank Beyer, nach einem Roman von Erik Neutsch, mit Manfred Krug, Krystyna Stypulkowska, Eberhard Esche