A Bigger Splash

Von  //  8. Juli 2016  //  Tagged: , ,  //  Keine Kommentare

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Submission. Nach Franco Berardi wurde “im Zeitalter des Finanzkapitalismus” die Geschichte abgeschafft. Der italienische Marxist datiert den Wendepunkt auf das Jahr 1977. Damals habe die Evolution den Rückwärtsgang eingelegt.

Friedrichshain – Beamte richten ihre Schienbeinschützer mit der Konzentration von Spielern, die sich auf ein Match vorbereiten. Sie erinnern an cineastische Schwarzeneggerweissagungen. Ihre Gegenspieler erscheinen nicht weniger uniformiert. Clara trägt ihren Tiroler Strohhut, sie täuscht Sorglosigkeit vor. Geht sie alles nichts an. Mich diskriminiert der Testosteronüberschuss auf der Straße. Clara war auch schon zuvorkommender. Vor zwanzig Jahren hätte es ein Baader-Baal im Fassbinder sein können, inzwischen sehen Demonstranten für Clara nur noch wie gefährliche Verlierer aus. Wegen denen kann man nicht überall mit dem Auto hin.
Wo ist jetzt noch mal die Galerie? Geyer sagte doch, man müsse lediglich …
Die Galerie ist im richtigen Leben ein Geschäft für gehobene Alltagsgegenstände in einem seit Jahren eingerüsteten Haus. Das Haus wirkt betrübt wie ein Eckensteher, der zum Versprengten in seinem Kiez wurde. Wir haben es schon ein paar Mal erst einmal nicht gefunden. Ich gehe an allen Leuten vorbei auf die Bilder zu. Von Kontakten verspreche ich mir nichts mehr. Ich bedenke einen Satz von Franco Berardi: “Beliebige Rekombinationen fieberhafter prekärer Aktivität haben das politische Bewusstsein … verdrängt.”
Der Künstler spielt mit seiner Tochter, außer mir schaut sich keiner seine Bilder an. Clara unterhält sich mit Wochenmarktfetischisten, hager, truthahnig, halsstarrig. Der Faltenwurf der Haut passt zum verknitterten Leinen.
Ich bin so weit, dass ich barfuß in Sandalen die Hässlichkeit meiner Füße als Instrument des Terrors einsetze. Die Lust am stillen Krawall … ich vermute, dass Claras Macken auf einem ähnlichen Misthaufen der Regression wachsen. Clara wird manchmal vorsätzlich zur Störung. Eine gewisse Peinlichkeit, die sie lange kannte, ist weg wie nie dagewesen.
Stunden später fällt uns auf, dass wir vom Straßenkampf wieder nichts mitbekommen haben. Diese Art, in einer Stadt zu sein, nannte man früher cocooning. Wir wollen noch in den Friedrichshain, wenn wir schon mal in der Gegend sind, verfahren uns und erreichen mühelos die Tilsiter Lichtspiele in der Richard-Sorge-Straße, die wir garantiert verfehlt hätten, wäre es unsere Absicht gewesen … es läuft “A Bigger Splash”. Der Titel reißt den Himmel auf.

Als die Pet Shop Boys jung waren, gab es einen Weltzusammenhang zwischen handgemachten Schuhen, die manche Leute in London kauften, Anzügen von Yōji Yamamoto und David Hockneys “Bigger Splash”. Mit mir hatte das alles nichts zu tun. Es ist nach zehn, das nenne ich spät. Clara knufft den alten Mann, er kann doch im Kino schlafen. Die Angelegenheit erscheint schicksalhaft von den Pankower Wasserflächen (am Morgen) bis zu den Tilsiter Lichtspielen in stiller Nacht.

“A Bigger Splash” reagiert auf eine 69er-Piscine-Petitesse mit Romy Schneider, Jane Birkin, Maurice Ronet und Alain Delon. Maurice und Alain schwimmen in dieser Badeschlappe ständig gegeneinander und sobald sie aus dem Bassin kommen, rauchen sie los wie von der Tarantel gestochen. Das hat mich beim jugendlichen Zuschauen gestört: dass die Zeit des Abatmens so knapp gehalten wurde. In der Variation spielt Tilda Swinton eine Sängerin, die ihre Stimme verloren hat. Marianne kuriert sich mit einem jungen Mann. Paul (Matthias Schoenaerts) entspannt die Diva auf Bildern, die den Film nicht bewegen. Die Schneider-Delon-Vorlage sucht das Leben in den Gesichtern des Personals. Schneiders Lippen formen die Endlosschleife eines Versprechens. Der Kampf um eine Frau, die sich aus einer unangefochtenen Position höchst widerwillig in Konkurrenz mit einer als Tochter eingeschleppten Lolita-Pénélope begeben muss, zersetzt jede Betrachtung mit Klischees.
Die Aktualisierung geht als mediterranes Inseldrama über die Bühne. Flüchtlinge und einheimische Reinigungskräfte spielen emsig-desolat ihre ewigen Rollen, während die Herrschaften im durchbrochenen Licht von der Mittagssonne heimgesuchter Schlafzimmer erwachen. Nach Berardi wurde “im Zeitalter des Finanzkapitalismus” die Geschichte abgeschafft. Der italienische Marxist datiert den Wendepunkt auf das Jahr 1977. Damals habe die Evolution den Rückwärtsgang eingelegt, siehe “Helden – Über Massenmord und Suizid”, erschienen bei Matthes & Seitz. Berardi widmet sich Amokläufen und spektakulären Selbstmorden als Reaktionen auf zu “verblassenden Abbildern” herabgestufte “physische Formen”. Die Mörder halten sich für Filmhelden. Ihre Vorbilder professionalisieren das Bewältigungstheater und erklären das Kino (räumlich) zur geschändeten Jungfrau. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich Realitätsverlust in -gewinn umdeuten. Das Kino ist nun tatsächlich größer als das Leben. Mariannes größter Verehrer erweitert den Kreis der Müßiggänger mit viel Tamtam und einer Tochter. Ralph Fiennes spielt den durchstechenden, alles an sich reißenden Produzenten Henry oder Harry. H. hatte mal was mit den Rolling Stones. Eine musikalische Schnapsidee erhob ihn zu einer Fußnote der Rockgeschichte. Auf der Insel hat die Randbemerkung das Potential eines Großereignisses. H. setzt seine vergilbte Nähe zu Epochemachern ein, er pirscht sich an und überflügelt Paul im Pool.
Tochter Penny testet ihre Wirkung auf Mariannes Liebhaber. Sie behauptet, zweiundzwanzig zu sein. Dakota Johnson spielt die Verwöhnte wie sie mit links eine enorme Zerstörungskraft entwickelt. Sie wird zur Lunte für jede Menge Sprengstoff. Die psychologische Corsage ihres Charakters verzichtet auf Nabokov. H. ist kein Humbert Humbert und Penny geht nicht als moralisch inkontinente Nymphe durch.
Pauls Geschichte wird so erzählt als könne man sie ebenso gut weglassen. Seine Lebensleistung liegt auf Eis, er ist bereit sich zu verdingen und seine Fähigkeiten als Kameramann in den Dienst eines Zampanos zu stellen. Das setzt den Liebesdiener in ein submissives Verhältnis zu dem mogulhaften, jedes Restaurant zur Bühne machenden, Penny anstachelnden, mit Marianne komplizenhaft verstrickten H.

Italien/Frankreich 2015. Regie: Luca Guadagnino. Mit: Tilda Swinton, Matthias Schoenaerts, Ralph Fiennes, Dakota Johnson


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