The Assassin

Von  //  8. Juli 2016  //  Tagged: , ,  //  Keine Kommentare

Schnickschnackfreie Kampfszenen. Hou Hsiao-Hsiens Arthouse-Eastern “The Assassin” erinnert an weibliche Einzel- und Nahkämpfer im feudalen China.

“Das Schwert kennt keine Gefühle.” Das Schwert ist keine Sache, es ist beseelt und kann nicht einfach Eigentum sein wie eine Ziege oder ein Sklave. In den Händen einer Ungeprüften ist es von geringem Wert. Man muss über Führung Erstaunliches wissen, um es führen zu können. Nicht das Schwert gehört einer Befähigten, sondern eine Befähigte gehört zum Schwert. Man kennt solche Figuren vom Tango, in jedem Fall kommt zur Übung die Leidenschaft. Beides muss überwunden werden in einer Vereinigung der Schwertführerin mit der Klinge. Endlich ist sie so kalt wie der Stahl im Ideal.
“Das Schwert kennt keine Gefühle”, sagt die Ausbilderin.
Dahin zu gelangen, fehlt Nie Yinniang jedoch (noch) die Bereitschaft. Aus Liebe verweigert sie fortgeschrittene Lektionen. Nie Yinniang ist perfekt an der Waffe und scheint ihr doch nicht gewachsen.
Shu Qi schildert die Spezialistin als düstere, vor Sehnsucht knochige Schweigerin – als woman in black. Ihr wushu ist feinste Lyrik ohne Ornament.
Seit der Bahnhofskinozeit um 1970 durchlaufen Inszenierungen des Gong-fu seine Evolution der schönen Versachlichung. Sie führten zu schnickschnackfreien Kampfszenen, da federt kein Trampolin mit.
Die Meisterin ist mehr Statue als Person. Ihre Blicke schwängern die Gegend mit Bedeutung, es wird überhaupt viel bedeutungsvoll geguckt. Sie hält sich als Nonne in einer sozialen Sonderform. Das gibt ihr Zeit, um Nebeln beim Aufsteigen aus Tigerparadiesen und anderen ominös-aleatorisch bestandenen Senken zuzusehen. Nun entlässt sie Nie Yinniang, sie nimmt der Schülerin jene tägliche Praxis der Kontemplation, die Klausur gewährt: in der anmaßenden Gewissheit, dass Nie Yinniang ihren äußersten Punkt einer speziellen Aufnahmefähigkeit erreicht hat. Sie wurde gewogen und …
… der Film bietet sich zum Nachdenken darüber an, warum die Nonne gegen besseres Wissen, das ist die Suggestion, Nie Yinniang zu leicht findet. Ich bin jedenfalls empört. Zum Glück bin ich allein im Kino, abgesehen von einem Altberliner Bierpaar, das sich im Jugendmodus wie in einem Labyrinth verirrt hat. Es sitzt absolut pubertär da. Ab und zu macht es plopp auf der Tribüne, vermutlich wird der Kronkorken mit einem Feuerzeug abgezogen.
“The Assassin“ spielt zu Zeiten, da überboten sich Gebietsfürsten im Ränkeschmieden. Die Intrige war eine Kunstform, der Kaiser in ständiger Gefahr. Nie Yinniang soll Gouverneur Tian Jian (Chang Chen) zu den Toten befördern, obwohl ihre Seele noch gar nicht im Klingenstahl transformiert wurde. Außerdem ist die Killerin ihr Leben lang in Tian Jian verliebt. Wegen ihm hat sie sich den Look von Uma Thurman verpasst – Eros & Thanatos mandarinisch.
Anstatt den Potentaten eiskalt kaltzumachen, akkreditiert sich Nie Yinniang als schattenhaft-gespenstisch auf- und abtauchende Leibwächterin, selbstverständlich agiert sie effektiver als dreißig Mann. Der Gebieter ihres Herzens gehorcht wiederum der Staatsräson. Die feudale Ordnung zwingt ihn zum Vergnügen mit Konkubinen, die gesetzliche Gattin ist immer dabei. Alles andere schleimt und buckelt …
Im Film wird viel geredet und zwar in einer fernen Landessprache. Die englischen Untertitel können allenfalls den hundertsten Teil wiedergeben, bedenkt man das Verhältnis von Text zu Geschrabbel. Es geht um Höfisches, um Etikette und Entsagung. Nur der Gouverneur darf ungebremst schlechte Laune haben.
Seine besten Kämpfer eskortieren einen greisen General, der sich als junger Mann gegen Nie Yinniang und deren Eltern versündigt hat, auf brandgefährlichen Wegen in eine politische Sommerfrische. Normalerweise werden die Reisenden unterwegs aufgehalten und, sofern sie nur bedeutend genug sind, lebendig begraben. Auch diesmal läuft alles nach Schema F ab, der Feldherr liegt schon hochdekoriert unter der Grasnarbe, als Tian Jian und Nie Yinniang unabhängig voneinander eingreifen.
Tian Jians Schergen verhaften einen zweitklassigen Magier, indem sie ihn mit Pfeilen perforieren; nicht dass das den Mann beeindrucken würde. Er wirkt nur leicht gereizt.
“The Assassin” hat da seine Stärken, wo er sich der Volkstümlichkeit nähert. Nie Yinniang und Tian Jian übernachten (mit Gefolge) bei Ziegenhirten (und einem Spiegelmacher) in überwältigender Natur und Armut. Die Verbindung führt zu frühem Aufstehen. Mit abgefrorenem Arsch begibt man sich auf einen Spaziergang in die Anmut des öffentlichen Raums. Plötzlich steht da die Nonne, das Biest. Nie Yinniang zeigt, was sie kann. Keine Arabeske und keine vorladende Bewegung verdirbt die Bewegungsfolge.

China 2015, Regie: Hou Hsiao-Hsien

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