Shelter / Aus nächster Distanz

Von  //  6. Juli 2018  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

No Fake Jews – Nachrichten vom Jüdischen Filmfestival

Mehr Kammerspiel als Thriller – Eran Riklis Film „Shelter“ erzählt von einem Sieg der Freundschaft über Verrat und Gemeinheit.

Die stärkste Behauptung der Geschichte lautet: „Wir kümmern uns um unsere Leute.“
Agentenführer Avner erklärt das der reaktivierten Naomi, bevor er sie zum „Babysitten“ nach Hamburg schickt. Sie reist aus Israel mit der Erwartung an, nicht mehr als eine Trainingsaufgabe absolvieren zu müssen.
Hat sie im Ruhestand ihre Elastizität verloren?
Naomi erscheint in Deutschland als Claudia Winter. Die Tochter eines Botschaftsangehörigen kennt sich aus. Sie war in Berlin auf einer katholischen Schule. Nun tarnt sie sich mit einem Kreuz an der Halskette. Sie tritt auf Stolpersteine. Erwartet wird von ihr, dass sie eine aufgeflogene Informantin des Mossad in einem Ende der 1930er Jahre arisierten Haus mehr betreut als beschützt. Mona leidet unter den Nachwirkungen einer kosmetischen Operation und den Beschränkungen der Quarantäne in dem Safehouse. Sie soll bald in Kanada von der Bildfläche verschwinden.
Shelter erzählt von Freundschaft und Verrat manchmal in Bildern wie von Edward Hopper.
„Verrat ist unverzeihlich“, behauptet eine professionelle Verräterin. Mona weiß: Alles suchen Schutz, aber keiner ist sicher. In der ersten Szene sieht man sie an einem Strand von Beirut. Die Geliebte eines Hisbollah Führers wird vom Mossad im Schlauchboot evakuiert.
„Natürlich ist er verheiratet. Aber das war mir egal.“
Die Iranerin Golshifteh Farahani spielt eine poetisch hochgestimmte Überläuferin, die sich in jedem Augenblick ihrer Exklusivität bewusst ist. Ständig unterscheidet sie zwischen ihr und wir. Ihr, das sind israelische Juden, denen sich die Araberin zugewandt hat: mit der Erwartung, die Israelis seien anders im Sinne von besser als ihre eigenen Leute. Sie bewundert noch immer die israelische Standfestigkeit, auch wenn sie den Staat Israel für unhaltbar hält im Ansturm des militanten Islam; während ihr anstürmender Ex-Liebhaber keinen Zweifel daran hegt, dass seine Gegner gewinnen werden. Auch Naomi wähnt sich auf der überlegenen Seite:
„Wir wissen, wofür wir kämpfen.“
Sie hat ihren Mann (und Kollegen) bei einem Einsatz in Kenia verloren und wirft sich vor, ihn nicht beschützt zu haben.
„Ich war wie eingefroren.“
Neta Riskin spielt die Agentin als spröde, klösterlich auftretende Person, die im stillen Kummer Erfüllung findet. Einmal gibt Mona ihr zu bedenken:
„Erinnerungen kann man nicht anfassen.“
Naomi wirkt so, als wolle sie überhaupt nicht mehr angefasst werden. Auf Flirtofferten reagiert sie mechanisch. Von einem anonymen Spender mit der Nummer 749 versucht sie schwanger zu werden. Der unerfüllte Kinderwunsch koinzidiert mit einem Verlust der Schutzbefohlenen. Mona musste ihren Sohn im Libanon zurücklassen. Das Kind schafft eine Verbindung zwischen den Frauen, die sich als belastbar erweist.
Mona zeigt sich zugänglich. Sie setzt sich ins Szene, betont ihre Reize und fühlt sich heute blond und morgen brünett. Sie holt aus ihrer Weiblichkeit viel mehr heraus als Naomi. Sie bietet der Beschützerin Sex an.
„Shelter“ ist ein Kammerspiel mit Thrillerkomponenten. Die Handlung nimmt einen unwahrscheinlichen Verlauf. Um es mit Mona zu sagen:
„Gott spielt Poker mit uns, aber manchmal schlagen wir ihn.“
Liar Ashkenazi spielt Avner. Er wiederholt seine Behauptung, „wir kümmern uns um unsere Leute“, in der Gegenwart eines deutschen Kollegen, der ihm ein unmoralisches Angebot macht. Mehr als einmal scheitert Avner an seinem Anspruch. In den Schilderungen dieser Niederlagen gewinnt der Film Konturen. Der Mossad hält es mit dem United States Marine Corps, dessen Motto „Semper fi – Immer treu“ sich in der Maxime vollendet: No one gets left behind – Niemand wird zurückgelassen“. Das große Versprechen, so oder so heim zu kommen, hebt die Moral. Es garantiert die Enttäuschung all jener, die durch die Spiegelwand des schönen Scheins gegangen sind. Naomi überlebt diese Erfahrung.

Shelter/Aus nächster Distanz, Spielfilm, Deutschland 2018. Regisseur: Eran Riklis. Mit Neta Riskin, Golshifteh Farahani, Yehuda Almagor, Doraid Liddawi, August Wittgenstein, Haluk Bilginer, Mark Waschke, Bernhard Lior Ashkenazi, Hannes Wegener.

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