Hanna Amon

Von  //  4. Januar 2011  //  Tagged: ,  //  5 Kommentare

Mit knapper Not entnazifiziert, machte sich Veit Harlan wieder an die Arbeit – nicht nur gegen sein Image kämpfend, sondern auch wider den Kritikergeschmack. Wäre er wie Kollegen von Fritz Lang bis Edgar Ulmer nach Hollwood gegangen, gälte er heute als Kultfigur. Case in point: Hanna Amon, in Oberbayern und auf Schloß Berlepsch bei Witzenhausen gedreht und äußerlich ein Heimatfilm, ist trotz Agfacolor ein film noir reinsten Wassers – schicksalsschwanger, stilisiert und delirisch.
Zu Beginn singt ein Chor „Wer nie sein Brot mit Tränen aß…“ und Harlans Frau Kristina Söderbaum – aufgrund ihrer häufigen Filmselbstmorde während des Dritten Reichs als „Reichswasserleiche“ bekannt – erfährt im Gefängnis schweigend und ungerührt von ihrer vorzeitigen Entlassung, worauf eine Rückblende anhebt…
Die Söderbaum war nämlich einmal eine arglose Dorfschullehrerin, der eine böse Königin, nein, Gestütsbesitzerin (Ilse Steppat), die auch noch einen ausländischen Namen (Vera Colombani) hat, den Bruder (Lutz Moik, aus Das kalte Herz) raubt. Die „Illustrierte Film-Bühne“ formuliert das so: „Gewohnt, zu vernehmen und zu verderben, was ihrem heißen Blut gefällt, pflegt sie im Herbst, den Zugvögeln gleich, das Land zu verlassen…“ Da nun der örtliche Tierarzt Ägyptologe ist, erkennt Hanna die Göttin Isis als ihre Schicksalsgenossin und das Unheil bricht los, was Autor/Regisseur Harlan weidlich Gelegenheit gibt, sich an grausigen Szenen mit überlebensgroßen Dialogen auszutoben und in jeden freien Winkel Symbolismen zu stopfen (z.B.: unmittelbar auf das – an sich im Kontext schon überraschende, wenngleich durchaus plausible – Liebesgeständnis Moiks an die Colombani folgt eine Einstellung, in der das Buch „Die schöne Welt“ verbrannt wird). Oder, in den Worten der „Illustrierten Film-Bühne“: „Es kommt wie erwartet.“
Es ist kaum möglich, das nun folgende Geschehen zu beschreiben, ohne der Übertreibung geziehen zu werden. Harlans Plot von Hanna Amon (nach einer Idee des für seine „mystischen“ Stücke einstmals berüchtigten homosexuellen Innviertler Autors Richard Billinger, von dem auch die Vorlage für Die goldene Stadt stammt) verdiente eine sorgsamere Analyse, aber eine solche würde den empfänglichen Seelen, die den Film nicht kennen, viel von der Entdeckerfreude nehmen.
Deshalb nur so viel: immer, wenn man denkt, es kann nicht mehr wüster kommen (wir schreiben immerhin Deutschland 1952), zaubert Harlan noch etwas aus dem Hut, und sei es nur eine Überblendung zwischen der Söderbaum und dem Uhu der Colombani („Schönes Tier, der Uhu!“ – „Aber Fremde hackt er!“). Oder eine längere Rückblende ins alte Ägypten, jawoll! Die kirchliche Filmkritik: „pathetische Beschwörung reiner Bruderliebe, voller triefender Sentimentalität und deplazierter christlicher Symbolik“.

Wenn man dann noch erwägt, daß das ursprüngliche Drehbuch entschärft werden mußte, um einen Skandal ähnlich der Sünderin zu vermeiden, dann kann man den Boden unter den Füßen verlieren. In Nichts bleibt immer so erinnert sich Kristina Söderbaum: „alle Anspielungen auf eine mögliche Geschwisterliebe wurden eliminiert.“ Da selbst die Verleihfassung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt (es fehlt eigentlich nur eine Bettszene), muß Billingers Vorlage in der Tat ein harter Brocken gewesen sein. Freilich ist Söderbaum mit Vorsicht zu lesen: Ein paar Zeilen weiter glaubt sie: „wir zeigten in unseren Filmen nach wie vor eine heile Welt“ – doch Hanna Amon endet im totalen Disaster, alle Hauptfiguren sind am Ende entweder tot oder innerlich zerbrochen. Doch auch Harlan selbst klagt in Im Schatten meiner Filme: „An einem, großen dichterischen Gedanken wurden nun systematisch Zerstörungen vorgenommen, die sowohl den Dichter als auch den Regisseur und die Schauspieler schädigten. Ganz gewiß aber auch das Geschäft.“

Hans Otto Borgmanns schicksalsschwangere Filmmusik, die in bester Franz Waxman-Manier mit Leitmotiven jongliert, ist dem Agfacolor noir ebenso angemessen wie die Darstellungen: Lutz Moik benimmt sich passenderweise so, als wäre dies noch Das kalte Herz, die vom klassischen Theater kommende Ilse Steppat (die mit Max Nosseck verheiratet war und 1969 in ihrer berühmtesten Filmrolle, in On Her Majesty’s Secret Service, James Bonds Frau erschießt) läßt sich in bewundernswerter Weise auf das wüste Treiben ein, und auch der kleine Caspar Veit Harlan macht seine Sache gut. Bloß die Söderbaum kann mit ihrer Piepsstimme Sätze wie „Warum ist denn meine Liebe unrein?“ nicht wirklich glaubhaft rüberbringen. Allerdings ist die von ihr verkörperte Figur offensichtlich nicht ganz dicht, also geht das schon in Ordnung.

Dass die Bösen immer interessanter sind als die Guten, ist keine Neuigkeit; Harlan schätzt aber auch die Verlorenen und Abseitigen, die in seinen Filmen allesamt plastisch, instinktsicher und nicht ohne Sympathie gezeichnet werden. Diese wohl aus seiner Theaterzeit stammende Feinfühligkeit und eine sichere Handhabung der filmischen Mittel geht freilich bei Harlan mit einer beinahe pathologischen Blindheit einher, was die Nuancierung seiner Effekte betrifft. Der camp value seiner Filme bemißt sich am Grad seiner Hemmungslosigkeit: im Bemühen, Die Kundschaft ( Goebbels, den Produzenten, oder den vermuteten Publikumsgeschmack) gut zu bedienen, schleppt er das gesamte Inventar aus dem Lager und breitet es auf der Leinwand aus. Da finden sich dann feinfühlig empfundene Momente neben abstoßenden Dummheiten und formale Leckerbissen neben absurden Mißgriffen wie etwa der „Orgie“ in Anders als du und ich.
Hanna Amon, finster, haarsträubend und for the uninitiated grotesk übertrieben, ist indes ein perfekter Meta-Film, dessen Alptraumqualitäten durchaus beabsichtigt waren. Zunächst scheinbar nur grob und schmalzig, beginnt sich bald ein Schema abzuzeichnen: Harlan nimmt seine Klischees konsequent beim Wort und erhebt sich dadurch über sie. Als camp genießbar, fordert der Film nicht nur eine ernsthafte Interpretation seines Geschehens heraus, sondern hält ihr auch durchaus stand. (Frank Noacks Harlan-Biographie „Des Teufels Regisseur“, trotz des Titels eine ausnehmend gelungene und wohlrecherchierte Arbeit – Noack bringt sogar Hanna Amon in Verbindung mit Wetterleuchten am Dachstein -, versucht sich daran.)
Bei seiner Premiere wurde Hanna Amon – weniger aufgrund der Inzestthematik als aufgrund von Harlans Vergangenheit – zwar mit aufsehenerregenden Protesten begrüßt: in Freiburg wurden 300 Demonstranten von der Polizei unter dem Beifall von Passanten („Judensöldlinge!“, „Ich würde heute noch Heil Hitler rufen!“, „Juden raus!“) zusammengeknüppelt, während der Polizeipräsident angeblich mit Harlan in einer Weinstube saß; dennoch zog er immerhin 5 Millionen Zuschauer in die deutschen Kinos.

2003 tauchte im „Heimatkanal“ von Premiere eine neue Kopie von Hanna Amon im Programm auf. Diese weist leichte Farbschwankungen auf, ist aber ansonsten um einiges besser erhalten als die „alte“, zuvor auf diesem Sender gelaufene Fassung. Obwohl der Handlungsverlauf der beiden Fassungen identisch ist, weisen sie einige erstaunliche Unterschiede auf:
In der ursprünglich gezeigten Fassung („A“) ist die Traumszene gekürzt und der erste Teil von Söderbaums zweiter Konfrontation mit Steppat fehlt; Fassung „B“ dagegen verliert den Höhepunkt die Liebesszene zwischen der Steppat und Moik. Dies würde darauf hindeuten, dass „B“ eine Vorfassung von „A“ wäre : die Traumszene ist auch in „A“ noch eigenartig genug, der andere Schnitt mag aus Straffungsgründen vorgenommen worden sein; es ist undenkbar, dass Harlan freiwillig die Liebesszene geschnitten hätte. Andere kleine Änderungen (Integration der Musik in die Szenen, ein zusätzlicher Effekt zu Beginn der Traumszene) würden allerdings eher auf das Gegenteil deuten.
Aber dies sind nicht die einzigen Varianten: über weite Strecken bestehen die Szenen aus alternativen Takes der selben Einstellungen, auch der Schnittrhythmus ist oft subtil unterschiedlich, wobei Fassung „B“ (die mit 108 Minuten Fernsehlaufzeit länger als die „offzielle“ ist (105 Minuten im Kino, 101 Minuten im TV), schon, weil sie die Musik eine Minute vor Beginn des eigentlichen Vorspanns anfangen läßt) immer dort, wo sie von „A“ abweicht, „realistischere“, leisere Takes als „A“ einsetzt. Handelt es sich vielleicht um die Grundlage für die Exportfassung? (Hanna Amon lief in Spanien als El gran amor de Ana Amon, in Schweden und Finnland als Fangen Nr. 393.)

Deutschland 1951, Regie: Veit Harlan

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Über den Autor

Andreas Poletz (1185 bis 1231), aus Chorazin gebürtig, beschrieb seine Seele als »einen schrecklichen Sturm, umhüllt von ewiger Nacht«, und behauptete, dass er aus Verzweiflung begann, seine Hände und Arme zu zerfleischen und mit den Zähnen bis auf die Knochen zu zernagen (incipit manus et bracchia dilacerare et cum dentibus corrodere useque ad ossa). Ist aber nicht wahr.

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5 Kommentare zu "Hanna Amon"

  1. Christoph Hochhäusler 11. September 2015 um 20:12 Uhr · Antworten

    „Wäre er wie Kollegen von Fritz Lang bis Edgar Ulmer nach Hollwood gegangen, gälte er heute als Kultfigur.” Seltsame Spekulation um einen Regisseur, der mit JUD SÜSS einen der infamsten (und einflussreichsten) Propagandafilme der NS-Zeit gedreht hat und für den „Durchhaltefilm” KOLBERG in den letzten Kriegsjahren beispiellosen Aufwand treiben konnte, d.h. alles andere als eine Mitläuferfigur war, wovon nicht zuletzt sein Sohn Thomas immer wieder Zeugnis gegeben hat (siehe auch http://www.thomasharlan.com/buecher/veit/). Ich habe nichts gegen eine Relektüre verfemter Werke oder Künstler, aber das Ideologie-kritische Besteck ganz beiseite zu legen erscheint mir doch als schrecklicher Irrtum. Grüße, Christoph

    • Eckhard Heck 2. Oktober 2015 um 18:07 Uhr ·

      Ein berfechtiger Einwand gegen diese wirklich sehr spekulative Bemerkung. Ulmer war Jude und Lang hat sich den Nazis nicht an den Hals geworfen, sondern, wie ersterer, die Emigration vorgezogen. Sie verließen Deutchland schon 1930 bzw. 1933, wohingegen sich Harlan nach der Machtergreifung öffentlich zur Politik der Nazis bekannte. Das alles passt ideologisch und zeitlich so schlecht zusammen, dass man daraus kaum brauchbare Schlüße für ein was-wäre-wenn-Szenario ziehen kann, was man deshalb auch lassen sollte.

  2. Frau Suk 25. Juli 2011 um 15:09 Uhr · Antworten

    Stimmt, Andreas, Du hättest „camp value“ ruhig mit „bad taste“ übersetzen können! Tss tss.

  3. Rüdiger 17. Juli 2011 um 18:05 Uhr · Antworten

    Anstrengend zu lesen – es nerven die vielen Anglizismen.
    Durch diese Worteinschiebungen bekommt der Beitrag auch keinen Qualitätsstempel.
    Also, demnächst bitte in klarem Deutsch ausdrücken – dies erfordert mehr Intelligenz als die Verwendung der Mickey-Maus-Sprache.

    • Eckhard Heck 22. Juli 2011 um 10:39 Uhr ·

      Hallo Verwalter. Ist das Frühstücksfleisch?

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