No skin off my ass

Von  //  16. Juli 2011  //  Tagged: ,  //  6 Kommentare

Der Film wirkt, als gäbe es ihn fast nicht, jedenfalls wäre er nicht für eine breite Öffentlichkeit bestimmt, sondern vielleicht für ein paar Freunde; mit seiner geringen Bilderdichte und dem kargen, unperfekten Handwerk ist Bruce LaBruce`s Debüt unfertig und persönlich wie eine Bleistiftskizze, ein gekritzeltes Tagebuch.

1990 in Toronto sieht ein Punkfriseur (Bruce LaBruce) im TV Robert Altmanns Film „That cold day in the park“, in dem im Vancouver von 1969 eine einsame Frau einen Jugendlichen zu sich einlädt und sich in ihn verliebt. Sie badet ihn, gibt ihm zu essen, sperrt ihn ein… Diese Bilder und Melodien im Kopf, sieht unser Friseur, nennen wir ihn B., in einem Park einen Skinheadjungen, sagen wir K. (Klaus von Bruecker). B. steht auf Skinheads – nicht wegen Politik, sondern wegen Ausstrahlung und Ästhetik – und spielt nun das, was er im Film gesehen hat, mit dem Jungen im Leben nach; romantische Filmmusik und ruppiger Skinpunk überlagern einander. Schließlich sitzt er mit K. in seiner Wohnung und sieht ihm beim Baden zu, elend vor Begehren. Was für eine Menschenfresserei Sexualität manchmal ist.

B. ist seine Skinheadobsession selber ein Rätsel. Aber er schafft sich rein in die Materie, liest über die Geschichte und Psychologie der Skinheadbewegung, zeigt uns Fotos seiner liebsten Skins, zur altmodisch beschwingten Musicalmelodie „My favourite things“; er mag solche Musik, Sachen von Dusty Springfield und Karen Carpenter… Vielleicht erregt ihn, den nostalgischen, sich verzehrenden Typ, an K. sein Gegenteil: die zur Schau getragene Härte, das verstockte Widerstreben; sein Schwarm ist so mürrisch und stachelig, missmutig und passiv. Ach, unser sentimentaler Held will einfach bloß den Kopf des Buben rasieren und lecken wie eine große Eichel. Oder mit ihm schlafen, phantasiert er, zu den bizarren Klängen der verbotenen Strophen der deutschen Nationalhymne.

K.s kritisch-emanzipatorische Schwester, eine Punk-Experimentalfilmerin, hält Skins für dumme Nazis und wirft dem kleinen Bruder vor, sein brillantes Gehirn für diese politisch unmögliche Bewegung zu verraten. Dabei erinnert der magere, kahle junge Mann eigentlich eher an KZ-Insassen als an deren Mörder.

An dem Jungen zerren viele Mächte: Skinideologie, B.s Verführ- und Einsperrversuche (auch darin folgt „No skin…“ dem Altmannvorbild). Und auch die schwer manipulative Schwester, die für ihren Film Menschenfleisch braucht, übt Macht aus und nötigt K., in ihrer Inszenierung mitzuspielen; ihr gehorcht er noch widerwilliger als seinem Verehrer. Sie nervt und will unbedingt wissen, ob er mit B. schon richtig gefickt habe. Hallo, ich bin ein Skinhead, sagt K., und Skinheads tun so etwas nicht. Tatsächlich haben B. und er nur miteinander masturbiert und so – nur lauter Sachen, die als Fortsetzung von Kinderspielen durchgingen; manchmal drückt ihm B. sogar einfach bloß einen Pickel aus. Am Ende, als die Filmerin seinen Freund mit Unterstellungen bedrängt, kommt B. ihm zur Hilfe, und das bricht das Eis, die beiden werden endlich ein richtiges Liebespaar. Ihren ersten Liebesakt will B. zwar filmen, aber „ich würde den Film nie jemandem zeigen – er ist einfach zu persönlich“, heißt es im selbstironischen Spiel mit dem eigenen, andere vereinnahmenden Exhibitionismus.

Bei aller Wackeligkeit ein sympathischer, ironisch und selbstironisch über psychische Ausbeutung und inszeniertes Leben nachdenkender Film, wie ein jugendlicher Punksong – dilettantisch, aber mit einer DNA drin, die über diese frühe Form hinausgehen will und wird.

CAN 1993, Regie: Bruce LaBruce

Auch mein HS-Kollege Marco Siedelmann hat den Film besprochen.

No Skin off my Ass ist bei Wurstfilm (in OmU) auf DVD erschienen.

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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6 Kommentare zu "No skin off my ass"

  1. Christoph 17. Juli 2011 um 07:00 Uhr · Antworten

    @ Silvia:

    Gleich noch eine Lobhudelei (und so plötzlich, ich weiß), aber über einen Text von dir zu MADEMOISELLE, einem wirklich beschämenswert unter den Teppich gekehrten Meisterwerk, würde ich mich sehr, sehr freuen. Die sich selbst ständig entgleitende Weltvergessenheit des Films ist zwar eine Herausforderung (ich habe über diesem Film mal nach einer halben Stunde quälender Versuche das Handtuch geworfen), aber du würdest sie sicherlich meistern. Bitte bitte!;-)

    • Silvia Szymanski 11. August 2011 um 18:57 Uhr ·

      Ich werd`s versuchen, Christoph. Hab mich jetzt drangesetzt. Ist wirklich ein unfassbarer Film.

    • Christoph 15. August 2011 um 06:35 Uhr ·

      Dann freue ich mich schon vor – Ich bewundere deine Courage!;-)

  2. Silvia Szymanski 16. Juli 2011 um 14:40 Uhr · Antworten

    Oh, das könnte interessant werden, find ich gut, wenn du das machst. Ich hab sowieso so eine assoziative Filmbesprechungsreihe im Kopf, die es geben müsste – darüber, worauf, hm, psychisch gefährdete Frauen aus einer gewissen Einsamkeit heraus verfallen. „Mademoiselle“ mit Jeanne Moreau gehört für mich auch dazu. Oder Anna Thomson in manchen Amos Kollek Filmen. Sicherlich auch die Deneuve in „Ekel“ oder „Belle de Jour“.

    • Eckhard Heck 18. Juli 2011 um 20:22 Uhr ·

      Sehr schön!

  3. Eckhard Heck 16. Juli 2011 um 14:09 Uhr · Antworten

    Den Bezug zu „That cold day in the park“ nehme ich jetzt mal als Steilvorlage, denn den will ich schon „wer weiß wie lange“ besprechen.

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