Aus dem Tagebuch einer Siebzehnjährigen

Von  //  22. September 2011  //  Tagged: , , ,  //  8 Kommentare

I felt all flushed with fever, embarassed by the ground. I felt he found my letters and read each one out loud“, Killing me softly, Roberta Flack, 1972.

Oh Mann, wer wäre fachkundig, über diesen Film zu sprechen, wenn nicht ich. Der Film meint mich, auf eine schmerzlich triviale Art und Weise. Allerdings war ich nicht wie die Protagonisten Elke 15 bis 17, sondern vielleicht 12, als ich ihren Schreibstil hatte. Und zum Glück wuchsen nicht ich, sondern nur Freundinnen von mir in den 1970ern genau in Elkes Umfeld auf. Ich las Heftchenromane, lebte sie aber nur ein bisschen nach. Ich hatte auch nicht, wie Elke, ohne Pause schlechte deutsche Schlager mit penetrantem Vibrato um die Ohren, sondern, räusper, bloß nach der Schule, am Wochenende und in den Ferien. Sonst stünde ich nicht hier, artikulationsfähig und aus dem Gröbsten, wie ich hoffe, raus.

Aus der „enzetzten“ Sehtagebuch-Besprechung Christophs vom verehrten Filmblog „Eskalierende Träume“ lese ich ein Flehen heraus, Enz, der Filmemacher, habe fantasiert und übertrieben. Doch Enz ist ganz hart dran an der Wahrheit.

Gut, echte Eltern am kleinbürgerlichen Esstisch sagten derartig tödlich banale Sätze nicht gar so hölzern auf. Und es war auch nicht jedes Mädchen nach seiner Kindheit so schockstarr im Angesicht der niederschmetternden Qualität verfügbarer Lebensangebote. Es gab natürlich auch kecke, heißblütige Ellens (s. u.). Ganz zu schweigen von Mädchen wie der amüsanten Sophie Marceau in „La Boum/die Fete“!

Elke hingegen… sie ist umfangen von einer zutiefst falschen Welt, einem fundamental abtörnenden Deutschland der Zinnteller, üppigen Gardinen, gedämpften Farben, öden Menschen – und stellt sich tot.

In gewissem Sinne ist sie eine Gemütsverwandte der „Spitzenklöpplerin“ (Film mit Isabelle Huppert, 1977) und lässt die Avancen ihrer wenig sympathischen Freundinnen und Freunde mit passiver Traurigkeit über sich ergehen. Was immer ihr auch geschieht, ob Ellen sie befummelt oder Lothar, ihr bedeutet das nichts. Sie spürt: Wenn sie sich mit dieser Art, zu leben leidenschaftlich verbände, gäbe sie sich auf. Dann lieber stocksteif wie ein Stoffel durch die Hölle. Einzig der Blinde, der ihr öfter in der Stadt begegnet, beschäftigt ihr mitfühlendes Wesen. Denn sie findet, sie sollte glücklich sein, allein schon, weil sie sehen kann. Doch das genügt nicht, und das Glück kommt erst mit Holger (38). Er ähnelt jenem Blinden.

Die Rettung in Gestalt eines erwachsenen Mannes ist natürlich nicht nur eine Altherren-, sondern auch eine Kleinmädchenphantasie (so sehe ich z. B. durch die Jahrzehnte Mädchen Linienbusfahrer belagern, weil sie so souverän ein großes Auto durch die Welt steuern und tausend Leute kennen.) Doch Holger muss zurück nach Singapur…

Es stimmt, dem Film ist möglicherweise die eigene Wahrhaftigkeit gar nicht so bewusst. Er stammt aus der großen Grabbelkiste „Aufklärungs- und Sexreportfilme der 70er“, denen man traditionell nicht furchtbar viel Bewusstsein zutraut. Deshalb könnte das Unterbewusstsein aber umso machtvoller sein. Man unterschätzt so etwas oft.

Regie: Jürgen Enz, BRD 1979. Mit Sylvia Engelmann.

P. S.: Hard Sensations sehen sich gezwungen, Filmen dieses aufschlussreichen Genres „Deutscher Sexfilm“ irgendwann eine längere Reihe zu widmen. Weil sie nun einmal da sind. (Der später verschollene George Mallory soll auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle, gesagt haben: „Weil es ihn gibt.“ Sein Kollege Edmund Hillary meinte dazu, dass es nicht darauf ankomme, oben zu sein, sondern auch lebendig wieder herunterzukommen.)

Elke (mit „Affenschaukeln“) hat sich gerade selbst befriedigt und wird aus schlechtem Gewissen darüber „den ganzen Tag im Kreis denken“. „Du hättest mit uns Christopher Lee im Fernsehen sehen sollen, er war überwältigend!“ hat ihre ahnungslose Mama gerade gesagt

„Ich find`s stinklangweilig hier“, sagt Lothar. Elke: „Ich find`s überhaupt langweilig.“

Ellen in Action

Elke – unglücklich, obwohl oder weil sie sehen kann

Elke (17), Holger (38)

Abschied vom glücklichen Blinden. Ende.


Flattr this!

Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

Alle Artikel von

8 Kommentare zu "Aus dem Tagebuch einer Siebzehnjährigen"

  1. Silvia Szymanski 26. September 2011 um 09:37 Uhr · Antworten

    Tja, Hofbauer & Co. haben mich dann wohl doch erwischt ;-) Ich hab diese Filme zu ihrer Zeit gehasst. Es stimmt, ich sah in ihnen auch Konstruktionen von „repräsentativen deutschen Bürgern“, und das machte mir Angst. Mir schien, diese durch die Sexwelle angetörnten, aber eigentlich strengen männlichen Erwachsenen wollten ihre mit Verachtung vermischte Erregtheit durch uns Minirock-Hippie-Mädchen damit autorisieren, dass sie uns Durchtriebenheit unterstellten. Dabei wollten wir einfach modern aussehen und unseresgleichen gefallen; es war Mode, wie Oma Außenseiters „Bordsteinschwalben“ auszusehen. Neben allen Mädchen hielten oft Autos oder Fahrräder an. Die Mutter des Außenseiters lachte wohl darüber und spielte damit. Die meisten machte das aber vor allem unsicher, und wir machten immer größere Bögen um langsame Autofahrer, einsame Fahrradmänner, Bauarbeiter und Grüppchen unbekannter Jungen. Christoph hatte seine Rückzugsorte, und auch ich wurde vor dieser ätzenden Erwachsenenwelt beschützt, durch nette Eltern und meine Clique im Gymnasium. Nach dem Abi aber wurde die Dorfkärwa-Atmosphäre hier bedrohlich. Ich habe die Urfassung von „Chemische Reinigung“ damals geschrieben, um mich zu retten. Vor ein paar Tagen geriet ich aus Versehen aber noch einmal ins „Kaiser-Karl-Fest“, eine der hiesigen Dorfkärwas, und es war wieder das gleiche: der alte Sog, die Traurigkeit, die instinktive Phantasie, nach jemandem zu schauen, der wenigstens ein bisschen anders als die Kärwa ist und mit ihm verzweifelten, tödlichen Sex in einer Ecke hier zu haben. Hab ich nie gemacht, muss ich aber auf jeder verdammten Kirmes u. ä. zwanghaft dran denken. Auch daran, was wäre, wenn ich hier nicht raus käme. Wenn DAS das einzig mögliche Leben wäre. Einerseits übertreibt Enz ja wirklich. Andererseits dachte ich aber, als ich übers Kaiser-Karl-Fest ging: Diese Wirklichkeit ist unfassbar schlimmer als der Enz-Film. Ich glaube, mittlerweile kann ich die alten Sexfilme wenigstens z. T. auch sehen als „Überhöhungen oder Abmilderungen des Möglichen, des Realen und des Gewünschten“. Sie sind, anders als ich anfangs dachte, für mich anscheinend keine Bedrohung mehr. Aber die aktualisierte Version des – für mich – giftigen („alkalischen“) Geistes wäre es immer noch.

    • Der Außenseiter 5. Oktober 2011 um 00:58 Uhr ·

      Vielen Dank für diesen Super-Kommentar. Der liefert einen noch tieferen Einblick, als mein nur aus der zweiten Hand geführtes Geseier. Ich steige gerne in sozio-emotionale Bereiche ein und Du hast mir das sehr gut ermöglicht!

    • Silvia Szymanski 5. Oktober 2011 um 11:17 Uhr ·

      Vielen Dank fürs Lob, Kumpel Außenseiter! Ich glaube, wir buddeln im selben Sozio-Emo-Flöz.

  2. Christoph 24. September 2011 um 01:32 Uhr · Antworten

    Ach, das wollte ich noch anmerken:

    „Meine Großmutter meinte manchmal entsetzt, dass es meiner Mutter wohl gefiel für eine Bordsteinschwalbe gehalten zu werden., da sie schon mit 14 ziemlich freizügig rumlief, und es immer mal wieder vorkam, dass ein Auto neben ihr hielt. Daraus soll sie beim Warten auf den Schulbus ein richtiges Spiel gemacht haben. Mit 15 musste meine Großmutter sie dann von der Davidwache abholen, da man sie bei einer Drogenrazzia nach Mitternacht in einem Laden aufgriff, wo nur “Neger”, wie meine Großmutter zu sagen pflegte, verkehrten. Sie habe sich in Grund und Boden geschämt.“

    Ist das echt oder aus dem mir leider noch unbekannten SCHULMÄDCHEN-REPORT 6. TEIL?
    Die Schulmädchenreport-Kompatibilität dieser Anektdote ist wirklich haarsträubend interessant.

    • Der Außenseiter 24. September 2011 um 14:06 Uhr ·

      Es handelt sich um eine biographische Anekdote aus dem Leben meiner Mutter. Vor allem in den 70ern herrschte ein enormer Aufbruch. Mein Stiefvater stammte aus wohlhabenden Verhältnissen, aber hat sich sein Studium Ende der 70er als Rausschmeißer im Safari verdient (Deutschlands älteste Live-Sex-Show). Dort hat er auch meine Mutter kennen gelernt, weil sie beide einen Transvestiten kannten, der dort auftrat. Selbiger wurde auch mal Anfang der 80er von meinen Großeltern zur Weihnachtsfeier eingeladen, was mich früh mit der Möglichkeit der Transgeschlechtlichkeit konfrontierte. Selbstverständlich ist das nicht der übliche Verlauf in bundesdeutschen Wohnzimmern in den 70er und 80er Jahren gewesen, aber die Auseinandersetzungsbereitschaft war noch eine andere, weil so vieles neu und zum ersten Mal da war (siehe Bilians Glauben, dass Hardcore-Pornographie irgendwann in jedem Film vorkommt, ohne Aufsehen zu erregen). Deshalb lässt sich ja auch so viel „Wahrheit“ in den Sexfilmen der 70er finden. Das sind Überhöhungen oder auch Abmilderungen des Möglichen, des Realen und auch des Gewünschten gewesen und nicht nur wüste Träume von sich aufgeilenden Drehbuchautoren (gut, aufgegeilt kann es sie durchaus auch getan haben, aber was ist daran verwerflich). Die Filme scheitern eher an den projektiven Annahmen aus heutiger Sicht, der Komplexitätsreduktion, der sie unterzogen werden und an der mir so abgrundtief verhassten Political Correctness oder sagen wir mal eher, was letztere aus uns für nivellierende Monster gemacht hat.

  3. Christoph 24. September 2011 um 01:30 Uhr · Antworten

    Ich reibe mir erneut die Augen und gehe in die Defensive.;-)

    „Aus der „enzetzten“ Sehtagebuch-Besprechung Christophs vom verehrten Filmblog Eskalierende
    Träume lese ich ein Flehen heraus, Enz, der Filmemacher, habe fantasiert und übertrieben, der Film spiegle vielleicht vor allem Enzens schmierigen Charakter wider. Doch Enz ist, vielleicht absichtslos, ganz hart dran an der Wahrheit.“

    Dieses Flehen mag wohl da gewesen sein, aber in erster Linie aus der Hoffnung heraus, diese Bilder und Klänge mögen doch aus meinem Kopf verschwinden. Denn über den Wirklichkeitsgehalt der Enzianischen Kleinbürger- und Miefhölle bin ich als jemand, der bis zu seinem 16. Lebensjahr in der tiefsten Tiefe der fränkischen Provinz mit derartigen, miefigen Erlebniswelten eingedeckt war, absolut vertraut. Gerade das macht aber für mich den Horror der Enz-Filme (neben der Siebzehnjährigen auch des noch gräulicheren SEXBARON VON ST. PAULI) so besonders erschütternd: Er übertreibt eben doch, dreht die Kontraste dieser Hölle so hoch, dass irgendwann nur noch harte, schroffe Kanten übrigbleiben, die scharfkantiger und alkalischer sind als jede von mir bisher, wenn mitunter auch unter Krämpfen, verarbeitete Wirklichkeit. Natürlich, schlimmer geht’s immer, aber während der 72 Minuten Film kann ich dem in dieser Überformulierung (die sich ja auch in der beispiellos klinischen Häßlichkeit der Form niederschlägt) nicht entfliehen, während ich in meiner Jugend immer meine persönlichen Rückzugsorte und geistige Deiche gegen die Außenwelt hatte. Dem Film war ich hingegen ausgeliefert – so, als hätte mich jemand auf einer der Holzbänke mitten im generischen Trubel „unserer“ Dorfkärwa (= Kirchweih) festgebunden, mit CLOCKWORK ORANGE-Metallklammern in den Augen, Bierschlauch im Hals und Megaphon-Trichtern in den Ohren. Meine lieben Freunde und eskalierenden Mitträumer Andreas und Marian waren „begeistert“ von der Schäbigkeit der enzsetzlichen Tristesse, aber vermutlich kommt ihnen dabei auch eine größere Distanz, ob natürlich oder künstlich, zu Gute.

    Ansonsten: Überraschender Text. Ich würde nie wagen, diesen Film so persönlich zu behandeln. Mein erster Gedanke dazu war: Ausgerechnet Enz! Ich kann dem Außenseiter unabhängig von meinem (allerdings durchaus faszinierten) Ekel vor Enz nur zustimmen – die deutschen Sexfilme sind als Gedächtnis der bundesrepublikanischen Gesellschaftsmoral, Sexualität, „Alltags-Ethos“ und Selbstwahrnehmung (es wird in ihnen ständig auf groteskeste Weise der Versuch unternommen, „repräsentative“ deutsche „Bürger“ zu konstruieren) ihrer Zeit häufig sehr viel wertvoller und wahrhaftiger als das Gros des „neuen deutschen (Elfenbeinturm-)Films“ und die Aktivitäten des „Hofbauer-Kommandos“ auf Eskalierende Träume sind seit ihren zarten Anfängen vor einem Jahr auch stets darauf ausgerichtet gewesen, dieser Überzeugung etwas mehr Nachdruck zu verleihen, neben einer freilich nicht zu leugnenden Freude am Schalk und am Sleaze (= Schmierigkeiten, Schmuddel, Schweinereien).

    Ich erwarte gespannt weitere „themenbezogene“ Texte von dir, Silvia. Marco und ich wissen inzwischen ja zur Genüge um unsere geteilte Freude am deutschen Sittenexzess, aber von dir wurde mir nur berichtet, dass du gerade mit diesen Filmen gar nichts am Hut hättest – was mich während der Lektüre von CHEMISCHE REINIGUNG dann doch etwas erstaunt hat, weil ich mir manche Momente daraus in satirisch und maskulin-schmierig zugespitzter Umsetzung ohne Weiteres in einem Ernst Hofbauer-Film vorstellen könnte. (Momentan bin ich mitten in AGNES SOBIERAJSKI und kann dich dahingehend beruhigen, dass er mich bisher nicht zu derartigen Fantasien angeregt hat.)

    PS: LA BOUM… Ich habe ihn erst mit 15 gesehen, als meine innere Traumproduktion bereits raffinierter geworden war, und ihn sehr abstrakt, als enorm surreal und fremd empfunden (und mich natürlich an Sophie Marceaus Schwarm delektiert).

  4. Der Außenseiter 22. September 2011 um 12:57 Uhr · Antworten

    Verrückte Parallelen. Meine Mutter war Mitte der 70er 16, mein Vater, den sie in Spanien kennen lernte, war 35 und so eine Art spanischer Gigolo und Alleinunterhalter. Sie war Punk und rebellisch ohne Ziel und ER war IHR Ticket aus den miefigen Kleinbürgerverhältnissen. Müßig zu erwähnen, dass aus der Story „Jungmädchentraum und feuriger, (aus ihrer Sicht) reiferer Latin-Lover“ auf lange Sicht nichts wurde. Andererseits verdanke ich solchen Träumen und Wünschen meine Existenz. Kann also doch was bei rumkommen, im Guten wie im Schlechten. :)

    Meine Frau und ich machen gerade eine Sexfilm-Reihe. Mit den Hofbauer-Filmen aus der Schulmädchen-Report-Reihe haben wir angefangen. Ein sehr erhellender Blick auf die bundesdeutsche Psyche dieser Zeit im Konkreten, sowie auf Altherrenfantasien und Lolitagehabe im Allgemeinen. Auch da lassen sich biographische Überschneidungen mit der Fiktion finden. Meine Großmutter meinte manchmal entsetzt, dass es meiner Mutter wohl gefiel für eine Bordsteinschwalbe gehalten zu werden., da sie schon mit 14 ziemlich freizügig rumlief, und es immer mal wieder vorkam, dass ein Auto neben ihr hielt. Daraus soll sie beim Warten auf den Schulbus ein richtiges Spiel gemacht haben. Mit 15 musste meine Großmutter sie dann von der Davidwache abholen, da man sie bei einer Drogenrazzia nach Mitternacht in einem Laden aufgriff, wo nur „Neger“, wie meine Großmutter zu sagen pflegte, verkehrten. Sie habe sich in Grund und Boden geschämt.

    Diese Filme verraten uns wirklich mehr, als viele vielleicht glauben wollen und zeigen auch, wie schockierend wenig sich verändert hat. So eine Art deutsche Konfrontationstherapie mit dem Deutschtum in uns.

Trackbacks für diesen Artikel

  1. Der dösplomatische Kurier #7: Dös cosmonautas a la fuerza | Intergalaktische Filmreisen

Schreibe einen Kommentar an Silvia Szymanski

comm comm comm