Britney: For the Record

Von  //  26. August 2013  //  Tagged:  //  1 Kommentar

Selbstverleugnung stellt eine Haltung dar, die kaum jemand bereit ist an sich selbst wahrzunehmen. Das ist mehr als verständlich, denn das Wesen der Selbstverleugnung besteht nunmal in Verschleierung, Idealisierung und Beschönigung des eigenen Selbst.

Es war einmal ein kleines Mädchen mit Namen Britney Spears aus McComb, Mississippi, die in den Jahren 2007/2008 für Schlagzeilen sorgte, als sie sich den Kopf rasierte, eine Suchttherapie nach genau einem Tag abbrach, das Sorgerecht für ihre Kinder verlor und schließlich in das UCLA Medical Center zwangseingewiesen wurde, da sie eine „Gefahr für sich und andere“ darstelle. Dieses kleine Mädchen beschloss nun eine Dokumentation über sich drehen zu lassen, damit die Welt dort draußen endlich begreift wie falsch die sie einschätzt.

60 Tage lang begleitete Regisseur Phil Griffin und sein Team Mrs. Spears.  60 Tage die dem Naheliegenden an sich gewidmet sind.  Selbstverständlich hat Britney Spears enorme Probleme mit sich selbst. Selbstverständlich hat sie diese enormen Probleme nicht verarbeitet. Sie wurden teilweise noch nicht einmal rationalisiert. Griffins höflicher, ja kulanter Interviewstil gelingt, weil Britney, bei allem gebotenen Respekt, unterbelichtet ist. Das körpernahe Erzählen, in dem Blickfang, Gestikulation und Präsenz beinahe komplett den Streifen vorantreiben, wird nicht als Trumpf sondern als Achilles-Ferse genutzt.

Als sie zum Beispiel danach gefragt wird, warum sie sich den Kopf rasierte, antwortet sie trocken „People shave their heads all the time.“ Ein anderes Mal sabbelt sie mit der gleichen Zuversicht: „I sit there and I look back and say I’m a smart person, like, what the Hell was I thinking?“ Ja Britney, das fragen wir uns auch.

Allerdings lassen sich in ihren Antworten Muster finden. So gibt es die reinherzigen, tief verzweifelten Antworten. Niemand hört ihr richtig zu, niemand möchte mit ihr ein richtiges Gespräch führen. Jeder weiß was gut für sie ist und jeder pusht sie zu noch mehr Leistung. Es gibt die mechanisch behavioristischen Antworten. Therapie sei nichts für sie, eher könnte sie sich durch Kunst selbst verwirklichen. Kinder sind ein Geschenk Gottes, also müsse sie doch an Gott glauben. All die persönlichen Enttäuschungen haben einen starken Menschen aus ihr gemacht. Schließlich noch der klägliche Versuch die eigene Lage angemessen selbst zu reflektieren. Die Aussage „I think there are people who are worse off than me.“ offenbart wie unfassbar krass sie von der Außenwelt abgeschnitten ist. Das einzige Gesprächsthema, was ihr einfällt, ist sie selbst. Sie weiß nicht, was „dort draußen“ passiert. Sie hat keine Ahnung. Als der Regisseur sie am Ende fragt, was sie aus all dem gelernt hat, bemüht sie sich um Eloquenz: „I go through life like a Karate Kid.“ Es folgen einige Sekunden Schweigen, danach prustet das ganze Team los.

Das ist irgendwann auch nicht mehr lustig.  Es dämmert einen, dass man mit Britney Spears die Sozialisations- und Assimilationsbedingungen der hochtechnisierten Welt veranschaulicht, die die Energien der Gesellschaftsmitglieder in eine paradoxe, selbstzerstörerische Form binden und den nekrophilen „homo mechanicus“ ( Erich Fromm), den Automatenmenschen hervorbringen. Materiell belohnt wird gewissermaßen, wer sich am erfolgreichsten zu einem Warenartikel degradiert und wer am erfolgreichsten seine die Produktion störenden Gefühle und Impulse unterdrückt, wer sich also einem gefühllosen Automaten am weitesten annähert.  Britney ist wie ein totes Stück Holz, das ganz tief drinnen noch etwas fühlt, aber sonst keine als wirklich empfundene Verbindung zum Außen empfindet, so dass sie das Außen nur als Fremdes erleben kann.  Wenn man sich die Angst und Ohnmacht des kleinen Südstaatenmädchens angesichts der Megamaschine des Disney-Plaste-Pop-Universums ausmalt, wird verständlich, warum sie sich in Phantasien, Selbstverstümmelung, sexuellen Ausschweifungen oder sonstwelchen Kicks flüchtet. Wenigstens die geben ihr ja das Gefühl des lebendig Seins und paradoxerweise den Eindruck von Kontrolle. Ihr Selbst wird nur manifest, insofern es an eine Erzählung geknüpft ist, die prinzipiell aktualisierbar und aufführbar ist.

Apropos aktualisier- und aufführbar – im Mai diesen Jahres bestätigte Britney in einem Interview ihre Pläne für eine eigene Show in Las Vegas.  So unfassbar der groteske kommerzielle Erfolg von Britney Spears auch oberflächlich erscheinen mag, angetrieben wird es ja durch ein Fanverhalten, dass wie der Hochmut im Niederen daherkommt. Jener Glaube, besser zu sein, weil man schlechter ist. Ob das ein gutes Ende nimmt?

USA 2008, Regie: Phil Griffin

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