Die Rote

Von  //  5. März 2014  //  Tagged: , ,  //  1 Kommentar

Eine völlig fremde Luft weht einem um die Nase, und das da draußen ist so spürbar, als hätte man plötzlich die dünne Haut dieser nervösen Frau – unbegreiflich, wie ein Film so etwas macht. Das ernste, introvertierte Grau, die gleitenden Bilder, die eiernde Plingplingzither(?), das formt sich zu einer Welt, der man nicht ausgesetzt sein möchte, weil man dort krank würde und verloren ginge. Nur als Betrachter sehnt man sich nach dieser schön herben, fiebrig erkälteten Herbstlichkeit und möchte dringend wieder einen Wintermantel tragen. (Sorry, ich habe diesen Text im letzten Sommer angefangen! ;-))

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Das Unglück, das so eine bemäntelte Frau in sich tragen kann, auf zwei Nylonstrumpfbeinen, über den regennassen Platz in Venedig, vorbei an den trüb im Nebellicht funkelnden Läden in nächtlich leeren Geschäftsstraßen.

Sie fällt den Männern auf. „Die Rote“ heißt sie wegen ihrer Haare, aber gemeint ist damit vor allem die alarmierende Röte ihrer Sexualität. Dass ihr Körper unter grauem Tuch verborgen ist, täuscht die Männer so wenig wie ihre aufreizend spröde Ablehnungshaltung.

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Das wird ein wenig überbetont, denkt man manchmal. Immer wieder erwähnt jemand – öfter noch sie selber – ihre Attraktivität für die Männer, immer wieder untermauert sie ihren Überdruss. Aber diese Wiederholungen unterstreichen das Thema „Reiz-Reaktions-Automatik“, das dem Film ja wichtig ist. Und auch wenn Franziskas/Ruth Leuweriks altmodisch frauliche Reize und ihre seriöse Sprödigkeit solch lüsterne Reaktionen nicht zu rechtfertigen scheinen, so sind die Männer und der ganze Film doch selber so gediegen, dass das alles schon zusammen passt.

Wir sehen hautnah die Gequältheit allzu Erwachsener in den 60er Jahren. Alle sind sich der Kompliziertheit des Lebens bewusst und nehmen gar nichts leicht. Sie legen sogar noch eine beklemmende Extra-Schüppe Bedeutungsschwere und moralische Verantwortung drauf. Franziska ist eine Misanthropin, die glühend wünscht, ihre Sexualität würde sie nicht immer weiter in Beziehungen verstricken. Sie arbeitet sich an den Männern ab, sie sich an ihr, und bei aller Enttäuschung von einander werden doch Erwartungen und Vorwürfe immer weiter aufrecht gehalten.

Bei den Männern, die der Film wie Blöcke um sie herum stehen lässt – sie schläft mit ihrem Chef und ist verheiratet mit seinem Günstling, beides nüchterne, sperrige, autoritäre Typen – sind ihre Negativität und ihr Davonlaufen nicht unverständlich. Was natürlich Absicht ist; man blickt mit dem Film durch ihre kritischen, frustrierten, männerfeindlich werdenden Augen wie aus einem Panzer. Franziska ist in Selbstmitleid gefangen, clandestin sehnsüchtig, sie ist wie diese seeigelartigen Meerestiere, die außen sind wie Steine, innen aber glibberig und blutvoll. Mit jedem unterstellenden, abschätzigen, hochnäsigen, unklugen Gedanken in ihrem mit kindlich dünner Stimme geklagten inneren Monolog igelt sie sich stacheliger ein in diese Einsamkeit, von der sie nicht lassen will; sie sammelt Gründe zum Verzicht, festigt diesen verbitterten Vorsatz und überlegt, wie sie ihn durchführen soll. Das ist nicht sympathisch. Aber es kommt einem bekannt vor. Ein ingrimmiges Wegschicken aller guten Geister, damit es richtig schwarz und bös aussieht, das Leben.

Die Rote 31Der Film ähnelt atmosphärisch jenen symbolistisch gruseligen Bahnhöfen aus der Zeit, als Dampf und Eisen noch sehr wichtig waren. Und diese sehr deutsche, sachlich wirkende Dolmetscherin geistert darin herum, als hätte sie schon sehr lange nicht mehr geschlafen. Die Namen Dortmund, Mailand, Hildesheim fliegen durch die Dunkelheit und wirken seltsam, wie behauptet, wie im Traum.

Udo Rotenberg schreibt in seinem Filmblog GRÜN IST DIE HEIDE zutreffend von dem langsamen Rhythmus und der „Ziellosigkeit und Zufälligkeit des Geschehens“: „Die von Gert Fröbe verkörperte Figur ist die einzig konkret handelnde und damit einfach nachvollziehbare Person des Films. Doch ihre Wirkung entsteht erst durch die Konfrontation mit Menschen, die nicht wissen, was sie tun wollen und wohin es sie treibt.“

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Es stimmt, so ist Fröbe (als „Kramer“): lebenstüchtig, gierig, überall zuhause und Macht ausübend, ein Mann zum Anlehnen sogar – und ein Wahnsinniger, ein Faschist und Mörder (Kramer, gewollt lässig: „Nach derzeitiger Auffassung. Im Übrigen können sich Auffassungen wandeln.“)

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Überall stellt sich die Frage, wie die Frau (und auch die Männer) sich in einem so sehr von männlichen Machtinteressen geprägten Biotop zu den (anderen) Männern, ihren Besessenheiten und Verbrechen verhalten. Franziska ist ein dem nachkriegsbürgerlichen System angepasster Nützling und zugleich ein sexuelles Lebewesen. Das (nicht nur das) macht das Ganze schmerzlich, kompliziert, wenn nicht unmöglich. Ihr Chef (Richard Münch) teilt sich Franziska mit seinem Angestellten Herbert (Harry Meyen) und fühlt sich dabei gönnerisch und frauenfachmännisch. Franziska schläft sehr gern mit ihm, aber beide tun das scheinbar ohne große Gefühle. „Was du brauchst, das sollst du haben“, lautet Herberts missmutig-permissives Motto dazu. Wenn seine Frau so egoistisch triebhaft ist, dann kriegt sie ihre lange Leine; Herbert ist sarkastisch leidensfähig genug und will sich wahrscheinlich auch nicht mit dem Chef anlegen. Franziska mag sich bei all dem selbst so wenig wie sie ihre Männer mag, sie teilt und erwidert die latente Geringschätzung. Selbst von dem unaufdringlich galanten Schriftsteller Fabio glaubt sie, dass er sie letztendlich beherrschen will.

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Der Mann, dem sich Franziska – so zögernd und voller Vorbehalte, wie das ihre Art ist – stärker zuneigt als den anderen, ist ein homosexueller Mann, Patrick O’Malley.

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Er ist – im Gegensatz zu seinem Gegenspieler Kramer – nirgendwo zuhause und fußt auf schwankendem Grund. Patrick ist ein britisch-deutscher Geheimagent, gedankenvoll und bindungslos, von einer eingefleischten Furchtsamkeit und Melancholie, die er sich eingehandelt hat, als er als Teenager entdeckte, dass er „anders“ war, wie er erzählt. Franziskas Kopfschmerzmiene entspannt sich beim Kaffee und Whiskey in seiner Yacht, auch wenn sie sich zwischendurch immer wieder distanziert fragt, was er sie angeht. Versonnen und aufmerksam hört der Film den beiden zu. Patrick hat eine alte Geschichte mit Kramer auszufechten; er ist fixiert auf ihn, er findet alle Menschen fixiert. „Hier, meine Uhr, sie zieht sich von selbst auf, nur durch ihre Bewegung“, sagt er, als sie nachdenkt, warum sie das mit ihren beiden Männern immer weitergemacht hat. „Auch wir sind solche Automaten. Wir werden aufgezogen durch unsere Reflexe, daher funktioniert alles tadellos. Und der Automat sorgt dafür, dass man sich mit einem schlechten Gewissen arrangiert.“ Das ist auch eine Anspielung auf die Nazivergangenheit. Und sicherlich wird in dem Film so viel herumgegangen, weil die Nachkriegsleute ihr eigenes Uhrwerk damit wieder aufziehen.

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Sie gehen in eine Jazzbar voller geiler, zwielichtig inszenierter junger Männer. Patrick fühlt sich von Männern nicht weniger belästigt als Franziska und begrüßt es, dass ihre Gesellschaft ihn vor den aufdringlichen Jungen schützt, die einen Versorger in ihm suchen. Franziska soll ihn überhaupt beschützen/nützen, denn er fürchtet/will, dass er sich/Kramer wie die verhassten Automaten ausschalten wird.

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Franziska mag weder Kramer noch Patrick, wenn er Kramer nicht nur aus wichtigen Gründen verachtet, sondern wegen jeder Kleinigkeit, besonders seiner manischen, von neurotischen Niesanfällen unterbrochenen Fresssucht (in lauter unvorteilhaften Großaufnahmen der sowieso großartigen Kamera). Patrick erscheint ihr wie ein sich unterlegen fühlender, um Überlegenheit kämpfender junger Sohn, der den verhassten Vater belauert, statt sich von ihm zu befreien. – Abrupt wie oft geht sie von den beiden weg, in die großartige, dunstige Nacht.

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Wo auch nichts Besseres zu finden ist. Sie geht so oft nach „draußen“, auf Straßen und Plätze. Aber in Wahrheit ist auch sie nichts Besseres, und es gibt es kein Draußen, sagt der Film, alle Fluchtversuche sind sinnlos. „Merken Sie sich für die Zukunft: Chancen wie diese gibt es überhaupt nicht“, sagt Kramer beim Showdown auf O’Malleys Boot.

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Am Schluss zieht sich die Kamera zurück von allen Leuten, mit denen wir diesen geheimnisvollen Film verbracht haben. Und Franziska geht „fort“, zum Bahnhof mit dem sinnlosen Anschluss nach überall hin.

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Italien/BRD 1962, Regie: Helmut Käutner, Musik: Emilia Zanetti, Kamera: Otello Martelli

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Gelegentlich schieben sich mächtige Marmorschenkel tierisch gut definierter Männerkörperstatuen vom Rand ins Bild. Aus einer anderen Sphäre.

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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