Insiang

Von  //  31. August 2014  //  Tagged: , , , ,  //  Keine Kommentare

Insiang ist das schönste Mädchen im Viertel. Ihr Freund Bebot würde sie gerne heiraten, hat aber keinen richtigen Job, um für sie sorgen zu können. So sorgt sie für sich selbst als Wäscherin und wohnt mit ihrer Mutter und zahlreichen Verwandten dicht zusammengepfercht im Tondo-Bezirk von Manila – immerhin in einem richtigen Haus, andere haben nur Bretterbuden oder übernachten im Freien. Ihre Mutter ist, seit sie von ihrem Mann verlassen wurde, zutiefst verbittert und läßt ihren Frust an Insiang und den Verwandten aus, letztere schmeißt sie dann auch aus dem Haus, um sich kurz danach einen wesentlich jüngeren Liebhaber zuzulegen, der aber eigentlich Insiang an die Wäsche will…

insiang2

Aus heutiger Sicht ist es sehr verwunderlich, wie dieser Film während des Marcos-Regimes auf den Philippinen entstehen konnte. Er erzählt zwar in erster Linie ein Familiendrama, liefert aber in einigen Bildern wie z.B. Kindern, die auf einer Müllhalde spielen und urinieren, gezielte gesellschaftskritische Kommentare. Entweder hatten die Zensoren kein besonders geschultes Auge, oder man hat den Film absichtlich durchgehen lassen, um international weiterhin als Demokratie wahrgenommen zu werden. Erst Lino Brockas Film My Country von 1984 wurde öffentlich als subversiv eingestuft und durfte nur zensiert in den Kinos gezeigt werden, wogegen der Regisseur vehement Einspruch einlegte. Aber zu diesem Zeitpunkt waren die Tage der Marcos-Diktatur bereits gezählt: Es fehlt mir zwar am nötigen Hintergrundwissen, aber der Umstand, daß Marcos während der People Power Revolution den Militärs konsequent untersagte, mit Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen und stattdessen freiwillig ins Exil nach Hawaii ging, macht aus ihm auch einen Sonderfall des Diktators mit Gewissen und einem Rest von Menschlichkeit.

insiang3

Aber selbst, wenn man die unterschwellige Gesellschaftskritik und den Mut Lino Brockas, als Künstler den Herrschenden die Stirn zu bieten, ausblendet, ist Insiang immer noch ein großartiger Film. Dazu trägt neben dem überzeugendem Ensemble auch die Dramaturgie des Drehbuchs bei: Im ersten Drittel noch hauptsächlich eine Beschreibung der Lebensumstände der Protagonisten, greift bald eine eigenwillige Variation der „Rape and Revenge“-Thematik und kulminiert am Ende in einer Szene, die einem schlichtweg den Hals zuschnürt und den Atem raubt. Insiang ist ein unglaublich intensives, auf künstlerisch höchstem Niveau auch emotional überquellendes Meisterwerk.

Das Mädchen Insiang, Philippinen 1976, Regie: Lino Brocka


Flattr this!

Über den Autor

Alex Klotz ist ein Zelluloid atmendes Wesen und betreibt den Blog hypnosemaschinen. Alex Klotz hat nie als Tellerwäscher, Aushilfsfahrer oder Kartenabreisser gearbeitet und gedenkt das auch in Zukunft nicht zu tun.

Alle Artikel von

Schreibe einen Kommentar

comm comm comm