Das Siebente Jahr

Von  //  3. Dezember 2014  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

Ostachtundsechzig Winzige Spuren vom Glück – Frank Vogels „Das siebente Jahr“ beschwört den Übergang vom Ich zum Wir

In Frank Beyers Spur der „Steine“ machte auch Frank Vogel seinen verbotenen Film. Doch dann kam Barbara in der Gestalt von Jessy Rameik um die Ecke und nahm Christoph Heins melancholischen „Fremden Freund“ vorweg. Doktor Barbara Heim ist die Emanzipierte von Ostachtundsechzig. Supermänner umschwärmen sie. Alle tragen schwer an ihrem Verantwortungsbewusstsein: „Der Arzt beginnt beim sauberen Charakter.“
Der Aufbau des Sozialismus ist kein Achtstundenjob. „Das siebente Jahr“ zeigt die handwerkliche Überlegenheit der DEFA gegenüber dem westdeutschen Film. Der Aufbau ist bildschön, die Bildsprache akkurat, die Lyrik knapp.
Jessy Rameiks Gesicht ist die ideale Bühne für ein Drama. Es bewegt sich wie auf einen dunklen Gang zu.
Barbara strahlt wie eine schwarze Sonne. Der Zuschauer hat viel Zeit, sich Vergleiche auszudenken, Kameramann Roland Gräf scheint in Barbara verliebt gewesen zu sein. In der ersten Szene takelt sie sich ab. Man ahnt den harten Tag im Kreuz der Herzchirurgin, Mutter einer Gabi und Ehefrau im siebten Jahr. Wolfgang Kieling spielt Gatte Günther. Kieling spielt einen Spitzenschauspieler. Günther erscheint als süffiger Schleicher, immer leicht geduckt und kurz davor, schwierig zu werden. Er ist der geborene Feinschmecker, Schmecklecker und Leisetreter. Von Anfang an steht fest, dass Barbara und Günther nicht zusammenpassen. Barbara gestaltet, sie verausgabt sich. Günther nutzt Gelegenheiten. Man möchte ihm eine reinhauen, er soll nicht so lethargisch und von sich eingenommen sein. Das Gesicht der abgetakelten Barbara wird zur Ruine ihrer Hoffnungen. Die Marxistin wirft sich einen Aberglauben vor. Die Filmmusik schrieb Peter Rabealb, er sitzt hinter mir im Kino in der Brotfabrik von Pankow-Weißensee. Er jazzte ganz schön in den Sechzigern. Manches klingt wie Friedrich II. an der Flöte. Eine weitere Hauptrolle spielt die Charité. Die Ärzte müssen nicht nur operieren und freundlich zur Kundschaft sein, sie sollen außerdem forschen, was das Zeug hält. Gegen den Klinikbetrieb wird der Kunstbetrieb gesetzt. Günther erliegt einer Verehrerin. Man kann seine Arbeit nicht so ernst nehmen wie Barbaras Dienst an der Menschheit. Jemand bezeichnet das Herz als „Hausgott“. Auch schön: „In der Chirurgie müsste es einen moralischen Faktor geben.“
Barbara sagt: „Ich werde mir Ihr Herz ganz genau ansehen, um zu sehen, ob Sie Ihre Frau auch wirklich lieben.“ Einen Herzschrittmacher vergleicht sie mit einer Taschenlampe. Im Kampf um Modernität versteigt Barbara sich dazu, „Pacemaker“ zu sagen.
Familienprobleme werden über offenen Körpern besprochen. Die Ärzte verkörpern Tatkraft am Rande der Erschöpfung. Sie rauchen eine nach der anderen und sagen dazu: „Rauchste stirbste, rauchste nich‘, stirbste ooch. Also rochste.“
Barbara fragt sich: „Wie viele Herzen werde ich operiert haben, wenn ich vierzig bin.“
Sie ist in ihren Chef verliebt, Ulrich Thein spielt Doktor Manfred Sommer als Retter von Kindern mit Mitralklappeninsuffizienz. Seine Frau Margot führt ein großes Haus, die Paare besuchen sich. Die Partnertauschbereitschaft erreicht kurz die Hundertprozentmarke, aber dann fahren die Heims heim und die Sommers winken von der Treppe.
Alles ist Aufbruch und Sackgasse zugleich. Am Ende bleibt alles beim Alten. Barbara redet sich das schön. Sie erwartet nicht mehr als „winzige Spuren“ vom Glück.

DDR 1968, Regie: Frank Vogel

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