Filmtagebuch einer 13-Jährigen #13: 14. Hofbauerkongress, 1. Nacht

2. Januar 2015, Nürnberg. Zu spät angekommen und „Showgirls“ verpasst. Aber Michael Kienzl und Oliver Nöding haben über den Film geschrieben. Was Hofbauerkongresse sind, hab ich hier für kino-zeit zusammenzufassen versucht.

vlcsnap-2015-01-19-17h40m35s48Oh Happy Day (Zbynek Brynych, 1970)
Viele geschätzte Kollegen mögen ihn sehr. Aber ich verstehe an Brynych dieses manchmal manieriert wirkende, experimentelle l’art pour l’art nicht gut. Immer im Mittelpunkt, wie der Star in einem Videoclip: das fast lückenlos kokette, mit der Kamera/dem erwachsenen männlichen Auge flirtende Mädchen Anna. Ihr antiautoritäres und verspieltes sich Lustigmachen, ihr geisterhaft von allem losgelöstes Pippi-Langstrumpf-Lachen – mir ist das so unerklärlich unangenehm wie die poppigen Pantomimen des „Schwarzen Theaters Prag“ in meiner Fernsehkindheit oder das Jugendzimmerposter von Chaplin als Tramp. Vielleicht liegt es auch an den Dialogen. Als ich zuhause den Film stumm schaltete, um Screenshots zu machen, fand ich ihn tiefer, die Details, Blicke und Bewegungen sagten mir mehr.

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Aber es gab natürlich genügend schöne Nebensachen: die swinging Münchener Straßen z. B., ein schlammiges, echtes Spiel von Bayern München gegen Alemannia Aachen (6:0) oder, in Annas Träumen von den coolen Typen draußen, schön psychedelische, lebensechte Drogenhippies.
Besonders Peter Kern mit seinem Mondgesicht und der Aureole krauser Haare ist original wie jemand aus den Freak Brothers Comics bzw. dem verdrogten Jugendclub unter dem Kindergarten

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Und wenn Nadja Tiller in ihrem Kimono breitbeinig lässig auf dem Boden sitzt, ist das überraschend sexy; ihr damenhaftes Tantengesicht macht dann gar nichts mehr, und ihre nervösen Gesten erinnern an Romy Schneider.

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Erstaunlich auch Siegfried Rauchs ergreifend bittende Augen im Innenrückspiegel des Autos. Ich kannte ihn bisher nur in Rollen, in denen er nicht so schauen durfte.

Und hübsch das Wiedersehen mit fast vergessenen Dekos wie diesen Strohblumenkugeln. Der Film erkennt das richtig; sie bedeuteten uns viel. Irgendwie symbolisierten sie für uns Teenies die verheißungsvolle, bunte, neue Zeit, in die wir verliebt waren.

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Wenn ich daran zurückdenke: Vielleicht erscheint mir Anna auch deshalb etwas künstlich und erdacht, weil fast nur Erwachsene um sie herum für sie wichtig sind, sogar ihr Freund. Das ist schwer denkbar, so ein Mädchen und dann keine Clique. Es lässt sie unwirklich und einsam wirken. 8/10

Hier die Reviews von Michael, Oliver und Alex Klotz.

Die Krise des Ehemannes und Vaters einer heranwachsenden Tochter während der Sexwelle sieht man in „Oh Happy Day“ an Karl Michael Vogler. Der Familienvater in „Gift“ in der 2. Hofbauerkongressnacht (Bericht folgt) war eine weitere Variation des Themas.


image002Der Oberst mit dem Dachschaden schlägt wieder zu (Andrea Bianchi 1974) OT: Basta con la guerra… facciamo l’amore.

Eine wohltuend antimilitaristische, anachische Militärklamotte um einen glühend militärbegeisterten Oberst (Jacques Dufilho), der in seiner glänzend braunstichigen Kaserne für den Nachschub zuständig ist. Er ist ein bizarrer, wie aus Silvesterblei gegossener, stacheliger Typ, ein defunèsisches Rumpelstilzchen. In der schönsten Gaga-Szene präsentiert er seine Vorräte einem Inspektor, und zwar, eifrig und hirnlos, alles: Käse, Salamis, Katze, Schrank, Schubladen, Italien (als Landkarte) und Schokoladencreme, die er dem Gast zum Probieren aufdrängt; hingegeben stopft er ihm den Mund, beschmiert ihm das Gesicht; beide sind selig wie Babys. Da kommt Besuch: des Obersts schöner, sanfter Neffe. Er hat dem Weltlichen abgeschworen und schwärmt nur noch für Äbte, Mönche, Geistliche. Der Onkel möchte ihn für Italien zurückgewinnen und entwickelt eine aufopferungsvolle Strategie: Seine Frau soll ins Feld ziehen, um den naiven Jungen zu verführen. Seine Frau aber ist die eklatant schöne Dagmar Lassander. Lippen wie glasierte Kirschen, sahneweiße Luxusbeine, sexy wie ein Schrei: Man will auf den Kinosessel steigen und laut applaudieren. 8/10

Schöne Texte dazu von meinen Kollegen Michael Kienzl,
Udo Rotenberg, Oliver Nöding und Alex Klotz.

Shaolin Kung Fu – der gelbe Tiger (Chang Peng-Yi, 1976). OT: Da mo mi zong
Wenn ich aufwachte, war immer gerade die Starwaffe im Einsatz: ein Wirbel aus drei megascharfen Klingen, der wie eine singender sägender Bumerang geworfen wurde und sich in das Fleisch der Leute fraß. Man kennt das aus Zaubermärchen oder Träumen. Die einzige Frau, Schwester des Helden, starb am Ende. Wogegen ich mich ausdrücklich verwehre. ;-) 6/10

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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3 Kommentare zu "Filmtagebuch einer 13-Jährigen #13: 14. Hofbauerkongress, 1. Nacht"

  1. Manfred Polak 29. Januar 2015 um 22:47 Uhr · Antworten

    Zu deinem ersten Screenshot: Ha, schon wieder einer dieser Kugelsessel! In der KOMMISSAR-Folge TOD EINER ZEUGIN, auch von 1970, hat Brynych Unfassbares.damit gemacht. ZDF! Hauptsendezeit!

    • Silvia Szymanski 30. Januar 2015 um 16:44 Uhr ·

      Hi hi :D Danke für den Link, Manfred!

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