Die Frau, die vorausgeht

Von  //  11. Juli 2018  //  Tagged: , ,  //  Keine Kommentare

Die Vereinten Prärie-Nationen von Amerika
Westernfeminismus – „Die Frau die vorausgeht“ schildert feministischen Bürgerrechtsaktivismus im 19. Jahrhundert. Der Film als politische Botschaft

Die Frau die vorausgeht ist Künstlerin und Aktivistin im Geist jenes republikanischen Frühlings, der Europa im 19. Jahrhundert verfrüht eine neue Zeit ansagte. Viele seiner Herolde fanden Zuflucht in Amerika. Als Heldin in Susanna Whites Neudeutung amerikanischer Geschichte tritt Susanna Carolina Faesch aka Caroline Weldon (1844 – 1921) auf. Ihre Mutter war mit der Tochter aus erster Ehe dem Dortmunder Revolutionär Karl Heinrich Valentiny von Basel ins Exil gefolgt. Der Forty-Eighter hatte sich in New York als Arzt niedergelassen. Das ignoriert der Film. Weldon erscheint zuerst als viktorianische Witwe, die von ihrem Vater an einen Mann patriarchalisch weitergereicht worden war.
Das tanzende Pferd
Den Tod des Gatten erlebt sie als Befreiung. In einer frühen Szene pfeffert Weldon ein Porträt ihres Mannes in den East River. Viel später erklärt sie der Liebe ihres Lebens, warum sie sich vor Pferden fürchtet. Ihr Stiefvater hatte sie als Mädchen zu einem Hengst in eine Box gesperrt, um die Ziehtochter mit der animalischen Unruhe einzuschüchtern und gefügig zu machen.
„Er wollte mich brechen wie man ein Pferd bricht.“
Noch später reitet Weldon, erlöst von ihrer Angst, einen Schimmel, der zum Zirkuspferd erzogen wurde und zu tanzen anfängt, sobald ein Schuss fällt. Das tanzende Pferd wird dann von Eingesperrten als göttliches Zeichen falsch verstanden. Sie brechen aus und absolvieren das letzte Stadium ihres Untergangs – auf einer Linie vom Little Bighorn zum Wounded Knee Creek. Die letzten Bilder zeigen im Frost erstarrte Leichen auf Originalaufnahmen eines Armeefotografen.
Die Geschichte vom letzten Aufbäumen und größten Sieg der First Nation in der Schlacht am Little Bighorn, bei dem 1876 das Regiment des Bürgerkriegsveteranen George Armstrong Custer aufgerieben wurde, ist oft aus kolonialer Perspektive und selten als Freiheitskampf der vereinigten Prärie-Nationen erzählt worden. In meiner Kindheit war der US-Husar Custer ein Held genauso wie der Massenmörder Kolumbus, dem wir das beste Beispiel für eine unzulängliche Fremdzuschreibung verdanken. Gedankenlos sagen und schreiben viele Indianer, weil der große Entdecker sich in Indien wähnte, als er in Amerika an Land ging. Wer gendert, sollte nicht indianern. – Und Häuptling geht auch nicht.
Custers größter Gegenspieler war der Staatsmann Tȟatȟáŋka Íyotake – Sitting Bull (1831 -1890). Er diente den vereinten Prärie-Nationen der Lakota, Cheyenne und Arapaho als militärischer und geistlicher Führer und er erfüllte diplomatische Missionen.
Nicht heroisch, aber unerschrocken
Auf ihn fährt Weldon ab. In ihm („dem Ureinwohner“, der früher die Herzen seiner Feinde an Hunde verfütterte) erkennt sie eine bedeutende Persönlichkeit. Ihn will sie malen. Den Leuten, die ihm vertrauen, gehört ihre Bereitschaft, sich politisch zu verausgaben. Weldon begegnet Tȟatȟáŋka Íyotake in seinem Todesjahr im Standing Rock Reservat als politische Künstlerin. Das ist ein Schuss durch die Decke der Zukunft. Jessica Chastain spielt die Kombattantin im Kampf der Indigenen gegen die weißen Sieger der Geschichte als permanent angegriffenes Wesen. Sie wird bestohlen, bespuckt, zusammengeschlagen und beleidigt. Zugleich dient sie dem magischen Denken ihrer Gastgeber*innen als Ikone der Hoffnung. Nach einer langen Zeit der Dürre beginnt es zu regnen, kaum dass sie eingetroffen ist. Die Begünstigten ihres leidenschaftlichen Mitgefühls geben ihr den Namen, der zum Filmtitel wurde. Sie empfangen das Mehl, das Weldon für sie kauft, direkt vom großen Geist.
Im Gegenzug hält die Aktivistin Büffelknochen auf einem Gipfel für Schnee.
„Die Büffel erstarrten, sobald sie beschossen wurden. Sie ließen sich einfach abknallen, bis kein Büffel mehr am Leben war.“
Weldon zeigt ihre Gefühle auch dem Feind. Sie ist nicht heroisch, aber unerschrocken. Sie sagt:
„Wenn Sie in mir eine Rebellin sehen, kommt das nicht aus meiner Natur, sondern es rührt von Umständen.“
Weldon transportiert Informationen aus der Moderne in die Sphäre von Abgehängten. Sie kommt aus der niemals schlafenden Stadt New York, wo gerade das 20. Jahrhundert erfunden wird, in die Prärie vor Omaha im Bundesstaat Nebraska. Sie weiß, wie Demokratie funktioniert. Sie kennt die Rechtslage. Sich selbst begreift sie als Lobbyistin der ursprünglichen Bevölkerung. Zu spät erkennt Weldon, dass die Demokratie in Standing Rock als weiße Angelegenheit gehandelt wird.
Michael Greyeyes spielt Tȟatȟáŋka Íyotake als (dem Anschein nach) gebrochenen Kartoffelbauern. Der Ex-Präsident eines zerschlagenen Völkerbundes hat seine Epoche überlebt. Er ist ein Schatten seiner selbst, ein lebender Leichnam: erfüllt von Zorn und Trauer. Doch möchte er immer noch die weißen Usurpatoren in den Hinterhalt ihrer bösen Absichten locken. Den Wunsch der Malerin, ihn zu porträtieren, findet er eitel. Er zieht Weldon viel Geld aus der Tasche. Dass er daran kein persönliches Interesse hat, zeigt sich bald.
Susanna Whites Western gibt historischen Vorgängen mehr als einen neuen Look.
Auf der anderen Seite des Geschehens steht Colonel Groves (Sam Rockwell) im Voraus von General Crook. Die hochrangigen Haudegen sollen mit einem Parzellierungsvertrag die Lebensgrundlagen der halbwegs entmündigten Standing Rocker weiter schmälern. Um ihre Zustimmung zu gewinnen, halbiert man die Rationen. Das Ressentiment regiert die Herrschaften. Die Schmach (aus der weißen Perspektive) von Little Bighorn wurde noch nicht getilgt. Um es mit Crook zu sagen: „Geschichte wird etwas erst, wenn es vorbei ist.“
Solange der alte Widersacher der US-Kavallerie Tȟatȟáŋka Íyotake lebt, bleibt die Rechnung offen.
Whites Western gibt historischen Vorgängen mehr als einen neuen Look. Weldons Kunst in einen aktivistischen Rahmen zu setzen, entspricht zudem der Wahrheit. Weldon war mehr Aktivistin als Künstlerin. Sie verstärkte die National Indian Defense Association zu einer Zeit als Bürgerrechte für Nichtweiße selbstverständlich eingeschränkt galten.

„Die Frau die vorausgeht“, USA 2017. Regisseurin: Susanna White. Mit Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell.

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