Hotel Artemis
Von Jamal Tuschick // 31. Juli 2018 // Tagged: featured // Keine Kommentare
Notaufnahme im Notstandsgebiet. Jodie Foster rettet im „Hotel Artemis“ nicht nur Verbrechern das Leben, sondern bewahrt da auch den Film vor einer giftgrünen und schwefelgelben Leblosigkeit.
Am Anfang ihrer Karriere spielte sie eine halbwüchsige Ausreißerin auf dem Babystrich. Iris Steensma unterwirft sich als somnambules Früchtchen einem Schmierlappen. Auf allen anderen Spielfeldern verkörpert Jodie Foster seit Jahrzehnten eine Frau, die sich den Menschenfressern von Hollywood als wandelnder #Nichtmitmir verweigert. Sie widerstand den Machtmechanismen der Filmindustrie in Akten, die als Privatangelegenheiten eines Stars niemals zu Gegenständen einer Debatte über Herrschaftsverhältnisse wurden und auch heute zu diskret erscheinen, um vorbildlich zu sein. Mehr als vierzig Jahre nach ihrem Durchbruch neben Robert De Niro in Taxi Driver zeigt sich Foster in „Hotel Artemis“ als Ruine in einer ruinierten Stadt – als schwer angeschlagene Garantin des Überlebens unter verschärften Bedingungen. Nach einem Infrastrukturinfarkt und dem Kollektivkollaps der demokratischen Institutionen im Verlauf der kommenden Jahre ist Los Angeles 2028 endlich eine überlaufene No-go-Area. Marodeure perforieren die Abschirmungen. Kiezmilizen liefern sich Straßenschlachten mit Polizeirobotern. Ein Bürgerkrieg tobt. Gleichzeitig funktioniert für die Auserwählten urbaner Service auf allen Ebenen – von der qualifizierten Auftragsmörderin bis zum Lufttaxi lässt sich alles auf sicheren Leitungen bestellen.
Ständig fällt der Strom aus. Jean Thomas möbelt sich mit Schnaps und Pillen auf. Sie leidet unter Panikattacken, Asthma und dem Gefühl, aus der Welt gefallen zu sein. Ihre Patienten nennen sie Schwester. Thomas hat ihre Approbation zu einer Zeit verloren, als man Autos noch mit Trinkwasser wusch. In der Handlungsgegenwart löst Wasserknappheit Aufstände und Agonien aus. Die Schwester spritzt wie im Fieber Elefantenmedizin. Sie war schon lange nicht mehr vor den Portalen eines Hochbunkers namens Artemis. Seit zweiundzwanzig Jahren führt sie eine Notaufnahme wie einen Club. Nur Mitglieder werden behandelt. Ein striktes Regime sichert die Anerkennung solventer Gangster, die ihren Kuren mit blumigen Decknamen absolvieren. Die meisten kommen mit Schussverletzungen zur Anamnese, so wie Honolulu, der unterbelichtete Bruder von Waikiki. Aus Versehen hat Honolulu den Mann bestohlen, der im Nachgang verdampfter kommunaler und staatlicher Instanzen die Stadt der Engel übernommen hat. Wer den Wolfking erbost, taucht erst als Wasserleiche wieder auf.
Die Geschichte erzählt „einen ganz normalen Arbeitstag“ der Schwester. Ein gigantisches Findelkind geht ihr zur Hand. Dave Bautista spielt den „Everest“ als neuseeländischen Bergfried. Er ist perfekt im Heal-or-Harm-Modus.
„Hotel Artemis“ ist so spektakulär wie leer. Als Referenz wirkt u.a. der Carpenter-Film „Die Klapperschlange“, in dem New York als Gefängnis zum zentralen Umschlagplatz menschlicher Niedertracht wird. Regisseur Drew Pearce inszeniert die Agoraphobie der Schwester vor obsoleter Modernität und futuristischem Dekor. Allem haftet eine Patina aus Dreck und Angst an.
Thomas hört California Dreamin‘ gegen die Angst. Sie verrichtet ihre Dienste im Stechschritt. Sobald sie auf das Vertraute verzichten muss, verzagt sie. Schließlich sieht man sie mit weichen Knien das Weite suchen. Die Schwester verschwindet hinter schwellenden Trümmern in einer radioaktiven Landschaft. Sie geht so grotesk wie in der Ära, als im Kino die Bilder laufen lernten.
Hotel Artemis, Spielfilm, USA/GB 2018. Regie: Drew Pearce. Mit Jodie Foster, Sofia Boutella, Sterling K. Brown, Dave Bautista, Zachary Quinto, Jeff Goldblum, Charlie Day.