Dominik Graf: Ein Interview

Von  //  6. November 2016  //  Tagged: , ,  //  1 Kommentar

Titelbild: Polizeiruf 110: Smoke on the water / making of. Im Bild: Matthias Brandt, Dominik Graf. Copyright: Bayerischer Rundfunk, Julia von Vietinghoff

Dominik Graf stellt jedes Jahr ungefähr 2 bis 4 Filme fertig. Er spricht Hörbücher ein und schreibt eigene Kolumnen. Gerade wurde die Blu-ray von Dallamanos grandiosem DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER mit einem Audiokommentar von Graf und die Blu-ray von Veit Harlans OPFERGANG mit einem Vorwort von ihm veröffentlicht. Seine Henry James Verfilmung AM ABEND ALLER TAGE lief gerade auf dem Filmfestival in Hof, und im November zeigt die ARD endlich den schon letztes Jahr fertiggestellten ZIELFAHNDER: FLUCHT IN DIE KARPATEN. Graf beherrscht sein Handwerk perfekt. Er dreht grandios unterhaltsame Filme ohne sich um die unerträglich staatstragende Bedeutsamkeit der deutschen Film- und Fernsehlandschaft zu scheren. Er dreht sogar Filme über die unerträglich staatstragende Bedeutsamkeit der Deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Wenn man einen seiner Polizeifilme ansieht, bekommt man immer noch etwas Überraschendes dazu, einen Bruch mit den Konventionen, krasse Gewalt oder tiefe Poesie. Er behauptet, das liege nicht an der Inszenierung sondern am Drehbuch. Er ist selbst ein Filmfan und leidenschaftlicher Zuschauer und lässt seine sich ständig breiter werdenden Interessen in seine Kunst einfließen. Er erzählt nicht nur begeistert von diesen Interessen sondern wird nie müde, seine Quellen zu nennen. Zeit, ihn in seiner Heimatstadt München zu besuchen und die letzten vier Jahre Revue passieren zu lassen.

Heiko Hanel: Dein neuester Film AM ABEND ALLER TAGE ist die Verfilmung eines Romans von Henry James.

Dominik Graf: Henry James ist seit Jahrzehnten mein Lieblingsautor – abgesehen von einigen großen Genre-Schriftstellern. Claudia Simionescu, die Redakteurin von AUS DER TIEFE DER ZEIT, stellte mir mitten im Hype der Gurlitt-Affäre vor 3 Jahren die Frage, ob ich darüber etwas machen wolle. Ich fand die Situation um den Kunsthändler mit seinem verborgenen Schatz extrem inspirierend. Mir kam die Henry-James-Novelle „The Aspern papers“ in den Sinn, wo sich ein junger Kunstliebhaber in Venedig auf die Suche nach den Liebesbriefen in der Hinterlassenschaft eines großen englischen Dichters macht. James spinnt daraus wie immer eine psychologisch tiefe Geschichte, eine Reflektion über Liebe und Kunst. Markus Busch hat dann das Umschreiben auf Heute und auf München übernommen.

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Zielfahnder: Flucht in die Karpaten

Am 19. November zeigt die ARD Deinen neuesten Polizeifilm ZIELFAHNDER: FLUCHT IN DIE KARPATEN. Wie kam es zu diesem Projekt?

„Zielfahnder“ ist ein Stoff von Rolf Basedow, den er im Jahr 2000 schon mal an den Mann bringen wollte, nachdem er lange dafür recherchiert hatte. Wurde nichts. Und als nach IM ANGESICHT DES VERBRECHENS der Programmdirektor der ARD für eine Nachfolge-Staffel inhaltliche Bedingungen aufstellte, die nicht zu erfüllen waren, fragte uns der zuständige Redakteur Frank Tönsmann, ob wir noch was Anderes startbereit hätten. Rolf zeigte das Zielfahnderkonzept. Geplant war immer eine ganze Reihe, weshalb inzwischen auch schon vier bis fünf sehr gute Ideen und Outlines existieren. Deutsche Verbrecher drücken sich ja an vielen Orten in der Welt herum.
Für den Anfang suchte sich der Produzent das Drehbuch zu FLUCHT IN DIE KARPATEN raus, weil es in finanzieller Hinsicht beherrschbar schien. Man denkt immer, dass Drehen im Europäischen Osten billiger ist, aber das kann täuschen, denn auch dort ist der Hochkapitalismus der EU längst ausgebrochen. Flucht in die Karpaten taugt mit seiner Klarheit und Rasanz vielleicht auch gut als Pilotfilm der Reihe. Die Verbrecher brechen am Anfang des Films aus und am Ende befinden sich dann alle in den Hochkarpaten. Und diese scheinbar sehr gerade Linie ist gleichzeitig menschlich eine labyrinthische, Basedowsche Entdeckungsreise durch Transsilvanien.

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Zielfahnder: Flucht in die Karpaten

Hattest du nicht mal davon gesprochen, dass die Urversion von DIE SIEGER eigentlich der ZIELFAHNDER war, der in den Achtzigern spielen sollte?

Stimmt nicht ganz, das war ein anderes Projekt. Günter Schütter hatte mit dem Münchner Produzenten Janosch Kosminski einen Münchner Polizeithriller im US-Army-Drogenmilieu geschrieben, „UNDER COVER“, der leider nie verfilmt wurde. Als wir uns 1989/90 kennenlernten, gab es ja noch die GIs, die McGraw Kaserne, das Little Oktoberfest in Harlaching. Diese Army-Rituale hat Schütter mit dem Drogenthriller dann zu einem knallharten und poetischen Amalgam verschmolzen, was ich bis dahin noch nie in Deutschland so gelesen hatte. Das Drehbuch ist natürlich immer noch sensationell. Man könnte es heute aber nur noch als Period Piece verfilmen. Das Urdrehbuch von „SIEGER“ dagegen – auch Günter Schütter- war ein Stoff, in dem sich die SEKler fast wie Zielfahnder durch Mitteleuropa bewegten, ja, aber das war nicht die Fassung, die letztlich verfilmt wurde. Hauptsächlich aus Geldgründen.

Mit Kostümfilmen hast Du jetzt Erfahrung. Bist du zufrieden mit den zwei Fassungen von DIE GELIEBTEN SCHWESTERN? War der Film ein Erfolg?

Einige hunderttausend Zuschauer. Kein Totalflop, aber auch kein Riesenzuspruch. Ich bin mit der langen Fassung sehr zufrieden, mit der kurzen überhaupt nicht. Aber da es Teil des Vertrags war, unterstütze ich natürlich als Regisseur (und hier auch Autor) beide Fassungen. Die Arbeit am Drehbuch und auch die ganz gute Rezeption der großen Zeitungen hat mir noch mal eine Tür in ein anderes Genre geöffnet. Polizeifilme sind als Regisseur sicher immer noch meine eigentliche Welt. Bei den Kostümfilmen DAS GELÜBDE und DIE GELIEBTEN SCHWESTERN hatte ich dann auch immer den Eindruck, man müsste die auch immer noch kleiner, reduzierter und billiger hinkriegen. DAS GELÜBDE war ja auch eher ein kleiner Fernsehfilm. Aber ich glaube ab einem bestimmten Rahmen können wir nicht mehr billig produzieren, haben es verlernt. Man sehe sich allein die wochenlangen Tonmischungen bei deutschen Kinofilmen an. Verrückt.

Mit DAS GELÜBDE ist Dir durch die Reduktion etwas sehr Stilisiertes und fast Abstraktes gelungen.

Bei beiden Kostümfilmen ging es mir sehr um einen sprachlichen Ausdruck, um die Dialoge. Ich fand es bei DIE GELIEBTEN SCHWESTERN unendlich wichtig, Sprache so blühen zu lassen wie sie im beginnenden bürgerlichen Zeitalter als Kommunikationsinstrument benutzt wurde. Nicht nur gesprochen, sondern auch geschrieben. Ich hatte kein Interesse, große Aufwands-Szenarien zu drehen. Erstens existieren die alle schon, und zweitens sind Kostümschlachten – siehe „Waterloo“, um mal ganz hoch zu greifen – mir, glaube ich, auch zu anstrengend.

Bei Waterloo müsste man noch viel verliebter in die technische Ausführung sein, oder?

Ja, man müsste Uniformen, Pferde, Massen, Pulverdampf schon sehr liebhaben, und finanzierbar wäre das heute auch nicht mehr. Mich interessierte statt den Pferden eher das Erwachen des bürgerlichen Selbstverständnisses in einer vor-revolutionären Form von Gefühlen. In beiden Filmen kommen ja Umwälzungen und Revolten vor. Im GELÜBDE ist es die kleine katholische Revolte in Westfalen gegen die Preußen. Das Biedermeier konnte ganz schön radikal sein. Und in den GELIEBTEN SCHWESTERN spielt die große französische Revolution eine Rolle, die in ihrem Kern eine Revolution gegen die Aristokratie war, auch wenn bei uns weniger Köpfe rollten. Obwohl es sich bei den liebenden Schwestern um aristokratisches Personal handelt, leben sie am Schluss des Films, als Schiller endlich erfolgreich ist, es ihm gesundheitlich aber nicht mehr gut geht, eher wie heutige Großbürger. Das hat nicht mehr viel mit Adel und Privilegien zu tun.

Du stellst die klassischen Rollenbilder sehr sanft in Frage. Die Mutter von Lengefeld ist gegen eine Liebesheirat ihrer Tochter mit Schiller und sie widersetzt sich, ohne dass es ein politischer Akt wäre.

Das stimmt. Mir ist die Haltung der Mutter der Schwestern gar nicht so unsympathisch, wenn sie von den „lächerlichen“ Liebesheiraten spricht. Gefühle sind halt unzuverlässig.

Und die Mutter ist auch noch so cool dabei.

Sie befindet sich noch ganz in ihrer aristokratischen Welt, ist aber an manchen Stellen durch ihren Realismus fast radikaler und fortschrittlicher als ihre Kinder mit ihrem Liebesideal. Dieser sanfte Aufprall zwischen zwei Lebenseinstellungen hat mich interessiert.

Du hast zum Glück auch ein paar Nebenschauplätze belassen. Eine Familienszene spielt in einem Zimmer, in dem dauernd Leute rein und rausrennen. Ein Kind schreit, und alle reden wild durcheinander oder ergänzen die Sätze des jeweils Anderen. Das erinnert an die Besprechungsszenen aus deinen Polizeifilmen. Der kaputten Kaffeemaschine wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem Inhalt der Besprechung. Alltag heute und vor 200 Jahren. Die Handlung treibt das nicht voran, aber die Wahrhaftigkeit.

Das hoffe ich. Film ist ja nicht nur Story, Dramaturgie, sondern vor allem anderen ist es Inszenierungs-Detail, Rhythmus, Dialog, Schnitt, sprich: Film ist primär Form, nicht Inhalt (oder etwa „Content“, wie das schreckliche internationale Wort heißt). Wenn alle Familienmitglieder in Ludwigsburg unter einem Dach wohnen und das erste Kind zur Welt kommt, geht es um die Atmosphäre, die Stimmung der einzelnen Szenen – sonst nichts. Die Nöte nehmen kein Ende, aber die Schiller-Zeitschrift DIE HOREN muss herausgegeben werden. Dann sitzen dir noch die eigene Schwester und Mutter im Nacken, das Essen steht auf dem Tisch, die Tür geht auf, und ein Kutscher kommt rein und will was abholen. Neben all den Liebesschwüren und emotionalen Tsunamis wollte ich zeigen, wie sich Alltag damals angefühlt haben könnte.

Ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, dass du die heftigeren Spannungsmomente deiner früheren Filme zugunsten einer spielerischeren Inszenierung zurückgeschraubt hast. Jetzt hast du das einerseits mit dem Tatort AUS DER TIEFE DER ZEIT mit zerstückelndem Schnitt noch weiter getrieben und bist auf der anderen Seite mit dem Polizeiruf SMOKE ON THE WATER zu unerträglicher Spannung und gradliniger Inszenierung zurückgekehrt. Wie konntest du so unterschiedliche Filme drehen?

Mit dem Tatort wollte ich eigentlich nur ein bisschen Frischluft in das Format bringen.

Voll gelungen. Hat man auch an den Beschwerden gemerkt.

Dass einem das gleich derart um die Ohren gehauen wird, war nicht geplant. Ich kenne solche Reaktionen aber von früher. Beim Schimanski-Tatort DAS SCHWARZE WOCHENENDE gingen 1986 wegen einer zehnminütigen Verhörsequenz auch gleich viele Beschwerden ein. Man vermisste Schimmis Tatkraft.

Das war damals auch ein Bruch mit den Traditionen.

Gar nicht mit Absicht. Die Autoren und ich wollen eigentlich nie etwas völlig Anderes oder Neues machen. Bernd Schwamm, der Drehbuchautor beider TATORTE und ich wollten eigentlich nur das Rad ein wenig weiterdrehen. Für AUS DER TIEFE DER ZEIT haben wir anfangs mit einer großen Montage die Stadt München ein bisschen erzählt: erstmal für 7 bis 10 Minuten Mietspekulation und Korruption zeigen und erst dann mit der ersten Leiche anfangen. Bernd Schwamm lebt im Münchner Westend und kennt sich mit der dortigen Bodenspekulation aus. Der Film hat viele Schichten und reicht bis zum Ende des zweiten Weltkriegs zurück. Der Mordfall ist davon nur die erste Schicht. Und alle Protagonisten scheinen Opfer zu sein. Opfer ihrer Zeit und Opfer ihrer gierigen Vorfahren. Die Mutter und die Großmutter begingen eine Art Ursünde, und durch den Mord an einem Nazi schraubt sich die Vergangenheit dann in die Gegenwart hinein. Ein bisschen Avantgarde ist natürlich dabei, wenn wir gelegentlich die Figuren verlassen, um auf die Zusammenhänge einzugehen. Eine alte Villa in Pullach – in der de facto Hitler ein- und ausging. In einem kleinen Tempel im Garten dort plante Ludendorff mit dem späteren Führer den Putsch und plötzlich – finde ich – hat Alles mit Allem zu tun. In guten Kriminalfällen geht es nicht nur um die Figuren, sondern um Verwicklungen, Strukturen, Seilschaften und vor allem um die Stadt, von der du erzählst. Per Wahlöö und Maj Sjöwall, die Erfinder von Kommissar Beck, warfen auch immer drei Fälle zusammen und drangen damit in gesellschaftliche Strukturen ein. Auch Francesco Rosi drehte von den sechziger bis zu den achtziger Jahren strukturelle politische Filme mit vielen Schichten. Und der war viel radikaler als wir mit unserem Tatort. Für mich ist Strukturen zu erzählen oft interessanter als nur einer Figur und deren Emotionen zu folgen. Wir zeigen einen Stadtteil und das ganze Grauen der Gentrifizierung. Den erzählten Baustellen-Skandal gab es wirklich. Da wurde der künftige Bedarf einer Stadtteil-Schule künstlich heruntergerechnet, um die Schule schließen zu können. Die Stadt München wollte die Schule dann abreißen und den Boden als teuren Baugrund ausweisen. Im letzten Moment wurde den Gangstern im Stadtrat und den Baubehörden dann das Handwerk gelegt. Das gelingt aber eher selten.

Wir kam der Kontakt zu Bernd Schwamm zustande? Mit dem hast du doch seit DER FAHNDER nichts mehr gemacht, oder?

Doch, doch. Wir haben uns nie aus den Augen verloren. Er ist Teil der alten Bavariagemeinschaft, war Co-Autor bei DEINE BESTEN JAHRE und für mich, zusammen mit dem Produzenten Michael Hild, auch immer eine Art Drehbuchdoktor. Deren Meinungen brauche ich manchmal als Absicherung für Antworten auf Fragen, die ich selbst an den Stoff stelle. Der Polizeiruf SMOKE ON THE WATER ist ja auch eine Politgeschichte, aber trotz irrer Figuren vom Spannungsaufbau vielleicht nachvollziehbarer als AUS DER TIEFE DER ZEIT. Eine Politiker-Intrige wird Schicht für Schicht aufgedeckt und endet dann in einem tödlichen und brutalen Showdown. Der nimmt, was die Brutalität betrifft, keine Ende, vor allem nicht in der 14 Minuten längeren Director`s Fassung. Hier stehen, glaube ich, die Figuren deutlich mehr im Vordergrund als die dahinterliegende Struktur. Aber Günter Schütter hat dann in der Mitte des Films eine längere Rückblende eingebaut, in der gezeigt wird, wer den Mord begangen hat. Das war nun eher wieder – für unsere kleinen deutschen Verhältnisse – unkonventioneller und führte auch sofort zu Empörungs-Aufschreien am Fernseher.

Du behauptest immer, die Qualität deiner Filme steigt und fällt mit den Drehbuchautoren. Jetzt habe ich mir mal Filme angeschaut, die andere Regisseure nach Büchern deiner Stammautoren gedreht haben. Ich fand den Polizeiruf DER TOD MACHT ENGEL AUS UNS BEIDEN von Jan Bonny mit Drehbuch von Günter Schütter und den Tatort BOROWSKI UND DER HIMMEL ÜBER KIEL von Christian Schwochow mit Drehbuch von Rolf Basedow nicht besonders gut. Im Polizeiruf waren mir die Charaktere zu stereotyp, und im Tatort war mir diese Crystal Meth-Story viel zu belehrend.

Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen, zumal gerade der Christian Schwochow mit knapp 40 Jahren ab und zu schon so inszenieren kann, dass mir als altem Sack die Ohren schlackern. Von solchem Regie-Handwerk war ich mit Mitte 30 weit entfernt. Dasselbe gilt für Jan Bonny. Vielleicht besteht das größte Problem mit den tollen Drehbüchern von Basedow und Schütter manchmal darin, dass man beim Inszenieren die Moral völlig außer Acht lassen muss, man muss sich den Büchern einfach nur hingeben. Bei so einer Figur wie zum Beispiel HOTTE IM PARADIES muss es dem Regisseur einfach Spaß machen, diesen gewissenlosen (naja, doch nicht ganz so gewissenlosen!) Zuhälter-Typen in die tiefschwarzen Gesetze der Rotlicht-Clubs hinein zu begleiten. Der/die ZuschauerIN muss sich quasi wünschen, ZuhälterIN zu werden, weil das offensichtlich alles so toll ist. Die Wendung in den Abgrund kann dann später kommen. Aber sobald man beim Inszenieren aus Vorsicht anfängt, Gut und Böse schön auseinander zu halten, Rücksicht auf zartbesaitete Zuschauer zu nehmen – dann macht man die Filme solcher Autoren wie Basedow und Schütter kaputt.

Wie kam es zu DIE REICHEN LEICHEN, EIN STARNBERGKRIMI? Kanntest Du den Drehbuchautor Sathyan Ramesh schon länger?

Den kenne ich seit Jahren, ja. Der inszeniert manchmal auch seine eigenen Drehbücher und war früher Filmkritiker in Köln. Ich wollte schon immer was über Starnberg machen. Der Ort und der See sind für mich ein Phänomen. Reichtum und Hässlichkeit, beides so enorm und nah beieinander, dass ich den Ort schon wieder cool finde. Diese Ufer-Promenade mit diesem herrlichen Beton, das ist einfach einsame, souveräne Klasse im allenthalben eklig aufgehübschten Nachwende-Deutschland. Starnberg sieht immer noch so aus wie damals, als ich als Kind dreimal beim Sonntagsausflug dort ins Wasser gefallen bin. Ein bisschen wie Beverly Hills in Bayern, nur völlig geschmacklos. Man beschreibt hoch amüsante super-kaputte Ehen und todbringende Erbschaftsprobleme und hat gleichzeitig diese Landschaft, die ewige Sonne und die Segelboote. Der Dreh hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht, obwohl die Produktion mit 21 Drehtagen verflucht knapp kalkuliert war.

Wie viele sind es sonst?

Für DAS SCHWARZE WOCHENENDE im Jahr 1986 hatten wir noch 30 Tage. 1995 für FRAU BU LACHT noch 26 und 2011 bei CASSANDRAS WARNUNG, dem ersten Polizeiruf mit Matthias Brandt, noch 25 Tage. Bei SMOKE ON THE WATER hatten wir dann nur noch 21 Tage. Ich kann ja mit zwei Kameraleuten gleichzeitig wirklich schnell arbeiten, aber bei 21 Tagen befürchte ich oft, dass am Ende nicht genug Material vorhanden ist, um eine Szene zum Funktionieren zu bringen. Nachdrehen ist ausgeschlossen, das geht nur bei Versicherungsfällen.

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Dreharbeiten von „Die reichen Leichen“

Zurück zum Starnbergkrimi.

Eigentlich wollte ich mit Sathyan Ramesh eine Art bayerischer Ross MacDonald Geschichte erzählen. In dessen Büchern beauftragen jedesmal reiche Erben immer den Detektiv Lew Archer, um verlorene Tiere oder geklaute Gemälde zu finden. Und dahinter steckt dann immer eine Familienkatastrophe von biblischem Ausmaß. Die Tochter von Hannes Jaenicke verbündet sich in Starnberg mit ihrem Vater gegen die Mutter Ulrike Tscharre, eine ziemlich böse Idee. Die Dialoge von Sathyan sind toll. und wir haben auch viel bei der Starnberger Polizei recherchiert. Die berichteten übrigens, dass die meisten reichen Leichen in Starnberg daher kommen, dass neidische Nachbarn sich in exzessiven Gewaltausbrüchen gegenseitig ihre Biotonnen über den Kopf hauen. Und ich wollte auch schon immer mit Annina Hellenthal und Andreas Giebel zusammenarbeiten, weil ich ihn in der Serie MÜNCHEN 7 absolut toll finde.

Finden sich Polizisten in deinen Filmen wieder?

Keine Ahnung. Es hat noch nie ein Polizist meinen Führerschein kontrolliert und gesagt: Sie sind doch der, der immer über uns so negative Filme macht. Entweder die schauen meine Filme gar nicht oder sie sind grundsätzlich desinteressiert. Aber ich kenne seit Jahren einen der Polizisten, mit denen Rolf Basedow immer zusammenarbeitet. Der kam auch bei EINE STADT WIRD ERPRESST auf die Idee, Lösegelddiamanten in Zigarrenkisten zu packen und diese dann durch unterirdische Kanäle in Leipzig schwimmen zu lassen. Einer vom Leipziger Ordnungsamt meinte zu unserem Produktionsleiter, dass diese großangelegte Erpressung in diesem Film vom Ablauf her klappen könnte. Das war bislang die einzige Reaktion eines Polizisten auf einen meiner Filme.

In deinen Dokumentarfilmen geht es ganz oft um den Tod. In DENK ICH AN DEUTSCHLAND – DAS WISPERN IM BERG DER DINGE ging es um Deinen verstorbenen Vater, den Schauspieler Robert Graf. In WAS HEISST HIER ENDE? geht es um den ebenfalls verstorbenen Filmkritiker Michael Althen und den Verlust einer bestimmten leidenschaftlichen Art von Filmjournalismus. In LAWINEN DER ERINNERUNG erzählt der auch gestorbene Oliver Storz von Film und Fernsehen, wie es heute nicht mehr existiert. Und darum geht es ja auch in VERFLUCHTE LIEBE DEUTSCHER FILM und Deinem Film zum Grimme-Preis ES WERDE STADT.

Das beruht vielleicht auf meiner Bockigkeit gegen die real regierende Gesellschafts-Ideologie. Olaf Möller schrieb mal einen Kommentar zu dem während des zweiten Weltkriegs entstandenen ES WAR EINMAL EIN VATER von Yasujiro Ozu. Der Film spiegelt in gewissem Sinn die japanische Kriegsideologie: Die Alten sollen Platz machen für etwas Neues. Aber Olaf findet nun, dass Ozu den Vater viel lebendiger als den Sohn zeigt. Seine Interpretation zu dem Film lautete: Das lebendige Alte soll weg, damit das tote Neue, das leblose Junge kommen kann. Ich habe das Gefühl, dass diese Art von Kriegsideologie im Augenblick auch über den kapitalistischen Ländern liegt. Alles Neue und Junge ist gut und alles Alte muss weg. Ich werde auch immer älter, klar, habe mich aber schon immer gerade für Deutschland gefragt, warum das Alte je schlechter gewesen sein soll als das, wodurch es ersetzt wurde. Mittlerweile funktioniert der Innovationswahn wie eine faschistoide Ideologie, die dazu dienen soll, „alternativlos“ alles, was lebendig ist, niederzuwalzen in eine sterile leblose Gesellschaft. „Veränderung, Veränderung!!!“ schreien alle um jeden Preis. Im Filmgeschäft propagieren sie seit Jahren die Digitalisierung, verschweigen aber, dass sie in der Praxis de facto genauso teuer ist wie die alte Filmmaterial-Technologie. Aber Psssst, nicht weitersagen! In der deutschen Medienlandschaft geht es den Funktionären vor allem darum, beispielsweise eine würdevolle Institution wie den Grimme-Preis möglichst schnell neu zu besetzen, um sie aus ihrer „alten“ Widerständlerischkeit zu lösen und dem mental überraschungsarmen Förder-System, das wir hier haben, einzugemeinden. Als ich dem Grimme-Institut und der Stadt Marl mit ES WERDE STADT nicht die erwartete Festschrift zum 50jährigen Jubiläum abgeliefert habe, habe ich zügig die Verachtung der Auftraggeber, der Funktionäre und Kommunal-Politiker zu spüren bekommen. Aber solche Abwertung oder Beschimpfung durch die regierenden Apparatschiks muss man im deutschen System doch als Orden betrachten.

WAS HEISST HIER ENDE? ist natürlich eine Liebeserklärung an Michael Althen aber auch an eine Form der Filmkritik, die vielleicht ausstirbt weil die Leidenschaft fehlt. Man selbst findet ja immer, dass Bloggen nicht gleich Filmkritik ist und dass es so viele junge Leute gibt, die es sich durch Posts mit Daumen hoch und Daumen runter viel zu einfach machen, während sie gleichzeitig keine Ahnung von der Filmgeschichte haben. Vielleicht führt das Anschauen von zu vielen Filmen aber auch zu einem Verlust des Enthusiasmus, den die Jüngeren unter den Bloggern noch haben.

Andreas Kilb sagt ja im Film: Irgendwann hast du natürlich das Gefühl, dass du das alles schon dreimal nicht nur anders, sondern vielleicht sogar besser gesehen hast. Und dann wirst du ungnädig.

Aber es wäre doch schade, wenn man gerade im Genrefilm irgendwann sagt, das habe ich alles schon mal gesehen, wenn doch der Reiz in der Variation liegt.

Absolut. Es geht nicht darum, dass man zum Beispiel zu viele Autoverfolgungsjagden gesehen hat. Heute ist ja dank technologisch hochgemotzter Kamera- und Digitaltechnik viel mehr zu zeigen möglich als früher. Das fördert in Genrefilmen oder Blockbustern die Kinetik, also die Geschwindigkeitserhöhung und die Schwerkraft-Verluste. Um Kinetik geht es mir auch im ZIELFAHNDER, wenn die deutschen Polizisten einem Rumänen durch die Altstadt von Bukarest bis nach Siebenbürgen hinterherlaufen. Allerdings ist es bei mir immer eine reale Kinetik, es geht um „wirkliche“ Geschwindigkeit, nicht um Tempo-Illusionen.
In den modernen Actionfilmen traut man sich andererseits kaum noch, eine Figur so ambivalent zu gestalten, dass der Zuschauer zwischen Sympathie und Antipathie schwankt. Als Zuschauer wirst Du zunehmend bevormundet. Vor 20 oder 30 Jahren passierte im Mainstream-Kino doch noch viel mehr Unerwartetes. Ich freu mich wahnsinnig, wenn ich so was wie die ersten vier Folgen von TRUE DETECTIVE sehe. Bei so grandiosen Dialogen, solchem Aufbau der Geschichte und bei diesen Landschaften mit erstklassiger Musikbegleitung denkt man wahrhaftig nicht daran, dass man das schon mal gesehen hat.

Also hat es vielleicht doch mehr mit der persönlichen Kenntnis der Filmgeschichte als mit der aktuellen Qualität der Filme zu tun? Es gibt doch andauernd so tolle neue Filme.

Aha. Bin ich anderer Meinung. Aber in WAS HEISST HIER ENDE? sollte es ja tatsächlich weniger darum gehen, ob die Filme schlechter werden, sondern darum, ob die Kritiker und ihre Plattformen, die großen Zeitungen, müde und angepasster werden. Und dies auch nur in einem kurzen Teil des Films, ansonsten war es vor allem ein Film über Michael.

Ja, genau, und die Kritiker behaupten aber, dass die Filme so schlecht geworden sind und deshalb sind sie so müde geworden.

Es ist komplizierter: Olaf Möller und Christoph Huber sagen im Film zum Beispiel, dass sich das Kino in den letzten 25 Jahren dramatisch verändert hat, weil der Markt analysiert wurde und man für jeden Wunsch eine eigene Schublade aufmachen kann. Jeder (fast) bekommt, was er möchte. Und was auf der Schublade draufsteht, das muss auch drin sein. Das ist sozusagen organisierte Überraschungs-Verhinderung, weil sich die Schubladen nicht mehr vermischen dürfen. Früher ging man in einen Western und wusste trotzdem nicht genau, was einen erwartet. Jetzt gibt es festgelegte Regeln für jede Art von Genre, auch für Liebesgeschichten und Kostümfilme. Und der Zuschauer wird schon sauer, wenn einer mal versucht, was Anderes zu machen. Nein, es ist sogar schlimmer: der/die ZuschauerIN kann das „Andere“, kann den abweichenden Film gar nicht mehr sehen, er kann ihn nicht mehr verstehen! Dazu kommt dann noch die Service-Kritik, wie sie Harald Pauli vom Focus nennt. Die braucht‘s ja auch dringend, denn der normale Zuschauer will gar nichts anderes über einen Film wissen als ein bisschen Inhalt und Wertung, 3 Punkte, 2 Punkte, Daumen hoch, Daumen runter, 2 Punkte Humor, einen Punkt „Anspruch“ oder eine Prozentwertung. Am Schlimmsten spürt man den Zustand eigentlich, wenn man nach Besprechungen der eigenen Filme sucht und dann merkt, dass 60% auf ein und derselben Kritik basieren. Die hat einer geschrieben, zwei haben sie abgeschrieben, und die haben dann damit Zeitungen wie auch Blogs beliefert.
Aber um noch mal auf Michael Althen zurückzukommen: Als ich für den Film mit anderen Kritikern und Lesern sprach, fiel mir immer wieder der einzigartige Ton in Michaels Kritiken auf, der damals, als er schrieb, sofort als außergewöhnlich empfunden wurde. Es gab aber damals viele, die Film leidenschaftlich besprochen haben, nur Michaels Emphase war herausstechend. Heute gibt es leidenschaftliche Filmkritik vor allem in den rasanteren deutschen Filmblogs. Wenn ich etwas von den Freunden von ESKALIERENDE TRÄUME lese, sitze ich oft mit offenem Mund da und denke, den Film muss ich offensichtlich dringend sehen. Muss ich wahrscheinlich gar nicht. Manche Filme, die sie anpreisen, waren vielleicht nur so gut, weil sie die nachts um drei im Delirium gesehen haben? Aber allein deren Sprachschöpfungen und der unbedingte Wille, die Zuschauer-Schafherde mit sprachlichen Peitschenhieben ins Kino zu treiben, das erinnert mich manchmal ein bisschen an die Texte von Michael Althen. Anders, aber auch groß.

Auf dem Hofbauerkongress selber warst du noch nicht, oder?

Nein, dass schaff ich bislang nicht. Ich würde das alleine schon gar nicht mit meinen Schlafrhythmen vereinbaren können. Ich müsste nach so einem Kongress dann ein halbes Jahr in Kur. Wenn ich schon die Uhrzeiten immer lese!

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Heiko Hanel. Vielen Dank an Heike Kandulsky. ZIELFAHNDER: FLUCHT IN DIE KARPATEN wird am 19. November 2016 um 20 Uhr 15 in der ARD gezeigt.

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